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Meinung: Totgesagte leben länger

Die Nato blickt stolz auf die zweite Ost-Erweiterung, die Existenzkrise ist vergessen

Am Ende ist der Frieden dann doch nicht so gefährlich. In den ersten Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges meinten viele, die Nato werde die Zäsur ebenso wenig überleben wie der 1991 zu Grabe getragene Warschauer Pakt. Jetzt sonnt sich die Allianz im Glanz ihrer unverminderten Attraktivität. Sieben neue Länder aus dem Bereich des früheren Ostblocks sind gestern offiziell beigetreten – und es hat gar nicht so doll wehgetan: weder Amerika, das bei der ersten Ost- Erweiterung 1999 um die militärische Schlagkraft der Nato bangte, noch Russland, das über Jahre grollend mit neuer Konfrontation drohte, wenn die Allianz die „rote Linie“ überschreite, die frühere Außengrenze der Sowjetunion. Nun wehen die Flaggen der baltischen Staaten gemeinsam mit dem blauen Nato-Stern im Wind des Wandels – und es bleibt friedlich. Was doch die Zeit vermag, sofern eine kluge Politik sie geschickt nutzt.

Fast unwirklich muten die Debatten heute an, die vor zehn Jahren die Gemüter erregten. „Out of area oder out of business“: Das war die Frage nach der Existenzberechtigung der Nato; zur Verteidigung des Bündnisgebiets wurde sie nicht mehr gebraucht. Gegen die eine mögliche Antwort – Stabilisierung Ostmitteleuropas durch Integration nicht nur in die EU, sondern auch in die Nato – regten sich starke Widerstände; eine neue Konfrontation mit Moskau sei ein zu hoher Preis. Und Nato-Einsätze außerhalb Europas lagen damals nicht im Bereich des Vorstellbaren.

Zunächst wurde die Partnerschaft für den Frieden erfunden: lockere Kooperation mit den neuerdings souveränen Staaten im Osten, Austausch von Offizieren, gemeinsame Manöver. Das Interesse war riesig, nur Russland zierte sich. Im Westen kam der stärkste Widerstand gegen die Erweiterungspolitik nicht etwa von den Entspannungspolitikern, sondern von Amerikas Falken. Madeleine Albrights Außenministerium war für die Aufnahme Polens, Tschechiens und Ungarns, das Pentagon dagegen. Diese Gegner argumentierten, die neuen Mitglieder leisteten nicht Beiträge, sondern konsumierten Sicherheit. Und das Baltikum – wie solle die Nato das denn im Falle eines Falles verteidigen?

Die Kriege auf dem Balkan, gegen die die Europäer nichts auszurichten vermochten, machten allen klar, dass die Nato weiter gebraucht wird, weil sie auf Amerikas Schlagkraft zurückgreifen konnte. Die Nachkriegsbefriedung von Bosnien über Kosovo bis Mazedonien wurde zudem zum Praxistest für die Tauglichkeit der Kandidaten: Polen, Balten, Tschechen, Rumänen und viele andere schickten Friedenssoldaten. Russland wurde durch vielfältige Angebote, darunter den Nato-Russland-Rat, besänftigt.

Das Pentagon ist längst bekehrt – mehr als vielen Westeuropäern lieb wäre. Denn die Neuen ließen sich auch für Amerikas Irakpolitik einspannen, stellen heute Soldaten in Kirkuk, Bagdad und Basra.

Der Wandel hat die Nato nicht zum weltweiten Interventionsbündnis gemacht. Sie ist zu demokratisch aufgebaut, um als willfähriges Werkzeug der USA zu taugen. Im Kosovokrieg wollten 19 Nationen über Bombenziele mitreden, da kriegen Kommandeure Pickel. Und nun sind es 26 Mitgliedstaaten. Nach den Anschlägen vom 11.9. wurde zwar erstmals der Bündnisfall ausgerufen, eine militärische Rolle spielte die Allianz aber weder in Afghanistan noch im Irak.

Die Nato ist zur „soft power“ mutiert, einem weichen Bündnis, dessen politische Stabilisierungskraft wertvoller erscheint als sein militärischer Arm. Selbst im friedensverwöhnten Westeuropa gibt es heute kaum Kräfte, die auf sie verzichten möchten.

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