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Meinung: Totsichere Sicherheit

Von Clemens Wergin

Wer kann, wer will sie noch sehen, die Bilder aus Gaza. Von blutenden Jugendlichen, verletzten Kindern, zerbombten Häusern und Autos und von in Reihen aufgebahrten Toten. Auch wenn die palästinensische Führung einen großen Anteil daran hat, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern fast nur noch mit militärischen statt politischen Mitteln ausgetragen wird, so übersteigt die gegenwärtige Aktion der israelischen Armee im Gazastreifen doch bei weitem das, was als legitime Selbstverteidigung gelten darf.

Die Rakete, die acht Demonstranten beim Flüchtlingslager Rafah tötete, mag versehentlich abgeschossen worden sein. Sie ist aber ein Symbol für ein Absinken der moralischen Hemmschwelle in Israels Armee. Bei Aktionen gegen militante Palästinenser sind zivile Opfer schon lange nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Israelische Militäraktionen nehmen immer mehr den Charakter von Vergeltungsmaßnahmen an, bei denen es nicht nur darum zu gehen scheint, Anschläge von Extremisten zu beantworten, sondern eine Art Gleichgewicht des Schreckens herzustellen. Palästinensische Zivilisten werden dabei von beiden Seiten zu Opfern gemacht: Die Militanten verstecken sich in bevölkerungsreichen Vierteln und agieren aus ihnen heraus. So sind sie nicht nur schwerer zu bekämpfen, sondern sie rechnen zynisch mit den Bildern toter Zivilisten, die um die Welt gehen. Bilder, die ihnen die israelische Armee immer wieder liefert.

Dabei ist kaum zu bestreiten, dass Israel in Gaza ein Sicherheitsproblem hat. Ständig werden Tunnel in der Gegend von Rafah entdeckt, durch die Waffen aus Ägypten geschmuggelt werden. Ob die Hisbollah wirklich Raketen im Sinai gelagert hat, um sie nach Gaza zu bringen, wie Israels UN-Botschafter behauptete, ist kaum zu überprüfen. Aber es gibt Indizien dafür, dass die libanesische Terrororganisation versucht, ihren Einfluss auf palästinensische Extremisten zu vergrößern. Es ist also verständlich, dass Israel vor einem Rückzug aus Gaza Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze zu Ägypten treffen will. Allein: Mit welchen Mitteln? Inzwischen ist jedes palästinensische Haus, das näher als 300 Meter an der Grenze liegt, für die Zerstörung vorgesehen. Seit dem Beginn der Intifada wurden etwa 1300 Häuser zerstört, 11 000 Menschen wurden obdachlos. Es war deshalb an der Zeit, dass der UN-Sicherheitsrat Israel an seine völkerrechtlichen Pflichten als Besatzer erinnert hat. Denn Sicherheit rechtfertigt nicht alles – schon gar keine Kollektivstrafen.

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