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Meinung: Trendige Tugenden

Zum 65.: Karl Lagerfelds Leistung jenseits des Catwalks

Mode muss glamourös inszeniert werden, sonst wird sie von den schönen, reichen Meinungsführerinnen nicht wahrgenommen. Karl Lagerfeld, der heute einen runden Geburtstag feiert, versteht dieses Geschäft. Die gleißenden Scheinwerfer und die hippe Musik lenken wirksam davon ab, unter welch harten Bedingungen diese schönen Kreationen entstehen.

Wer Lagerfeld reden hört, fühlt sich leicht irritiert. Denn manche seiner Sätze klingen wie Originaltöne aus den 50er Jahren. Lagerfeld gelangte im Ausland zu Ruhm und Reichtum und das in einer Branche, die normalerweise nicht mit typisch deutschen Talenten in Verbindung gebracht wird. Dabei hat er die altmodischen Tugenden einer gutbürgerlichen Hamburger Kindheit konserviert und stilisiert sie (immer apart gemischt mit bizarren Provokationen) gern in pointierten Antworten auf Interviewfragen. Das klingt auf Anhieb seltsam schrill – wie eine weitere Form der Selbstinszenierung, zu der die Kultivierung und Erhöhung von Marotten jeglicher Art zählt.

Die erfrischende Wirkung der Lagerfeld’schen Sentenzen gegen Weinerlichkeit, für Haltung, Disziplin und Höflichkeit wirft allerdings auch ein Scheinwerferlicht darauf, in welchem Ausmaß hierzulande Larmoyanz salonfähig wurde und eine aus Verweichlichung entspringende Mutlosigkeit den Status der Peinlichkeit verlor. Konservative Tugenden gedeihen oft besonders gut heimlich, dort, wo sie nicht in ein Korsett von Vorschriften gezwängt sind. Warum also nicht im schillernd inszenierten Modegeschäft?

Deutsche werden im Ausland immer noch eher mit Maschinen identifiziert als mit Dingen, die dem Lebensgenuss förderlich sind. Erfolgreiche Modekollektionen entspringen aber gerade nicht dem Genuss, sondern harter Arbeit. Mode ist ein schickes Business, und eines, das Trends sichtbar macht, die über den Horizont von Catwalks hinausgehen.

Zu einer großen Lebensleistung auf einem Terrain, das zu beschreiten für einen Deutschen aus der Lagerfeld-Generation ungewöhnlich bis wagemutig war, gehört Selbstvertrauen. Und das wächst anscheinend besonders erfolgreich auf dem Boden alter Tugenden und Werte, deren Glamour, wenn überhaupt, erst auf den zweiten Blick erkennbar wird.

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