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Meinung: Trialog: Die andere Geschlechterfrage

Als Angela Merkel auf die Kanzlerkandidatur verzichtete, gab es enttäuschte Stimmen aus Mecklenburg. Sie ist doch eine von uns.

Als Angela Merkel auf die Kanzlerkandidatur verzichtete, gab es enttäuschte Stimmen aus Mecklenburg. Sie ist doch eine von uns. Gemeint war: eine von uns Ostdeutschen. Antje Vollmer hat Merkels Verzicht mit Mitgefühl kommentiert, denn sie ist ja eine von uns - von uns Frauen. Daran hat sie grundsätzliche Erwägungen über Frauen und Politik angeschlossen. Ihre These: in westlichen Demokratien hätten Frauen schlechtere Chancen an die Spitze zu kommen als in zweifelhafteren Systemen, wie etwa in der Türkei, Pakistan, den Philippinen. Denn Frauen können aus der Not eine Tugend machen. Deshalb hätten sie bei Instabilitäten, Krisen und Notsituationen ihre Chance und deshalb eben besonders in zweifelhafteren Systemen. Und deshalb hatte Angela Merkel ihre Chance nur während des CDU-Desasters, als diese weibliche Qualität gefragt war. Nun ist sie überflüssig. Und darin offenbart sich die nackte Wahrheit über unser machtpolitisches System.

Nun mal langsam. Wir können ja auch aus der europäischen Geschichte einige sehr mächtige Frauen aufzählen: Elisabeth I., Maria Theresia, die Zarin Katharina. Und Königinnen haben wir ja auch heute einige in Europa. Deren Bedeutung hat aber gar nichts mit ihrem biologischen Geschlecht (sexus) und frauenspezifischen Eigenschaften zu tun, sondern beruht auf ihrer Geschlechtszugehörigkeit im genealogischen Sinn (genus). Es ist das genealogische Prinzip und nicht das sexuelle, das Indira Gandhi und sogar noch ihrer italienischstämmigen Schwiegertochter Sonja in einer streng patriarchalen Gesellschaft ein politisches Startkapital vorgeschossen hat. Es ist das aristokratische Prinzip, der Ruf und das machtpolitische Beziehungsgeflecht einflussreicher Familien und keine speziell weibliche Tugend, die in der so genannten Dritten Welt gelegentlich Frauen an die Macht bringt.

Es gehört zu den Grundüberzeugungen der europäischen Aufklärung, dass jeder Mensch als Mensch Rechte hat. Deshalb ist das genealogische Prinzip - die lebensbestimmende soziale Definition durch Herkunft - systematisch zurückgedrängt worden. Damit hat auch die Macht-Ressource Familie politisch ihre Bedeutung verloren. Adel repräsentiert nur noch. Wer politische Macht ausüben will, muss sich eine Machtbasis schaffen, nämlich die Zustimmung und Unterstützung vieler gewinnen. "Wer sich keine eigene Machtbasis aufbaut, wird fallen", sagt auch Antje Vollmer. Sie versteht das aber als Systemkritik: "Deswegen haben es die Frauen, die Intellektuellen, die Besonderen, die Solitäre in Parteien so schwer."

Da hat sie ein sehr heterogenes Bündel geschnürt. Der Einzelgänger (Solitär) ist immer politisch unbrauchbar, der Intellektuelle dann, wenn er sich nicht verständlich machen kann. Frauen sind bei uns in der Politik noch immer in der Minderheit, das ist wahr. Das dürfte aber inzwischen mehr mit ihren biografischen Entscheidungen als mit sozial verhängtem Rollenzwang zu tun zu haben. Hier sind uns die Skandinavier ein Stück voraus.

Antje Vollmer lässt aber noch eine andere Tonart anklingen. Wenn mehr Frauen in der Politik wären, wäre die Politik humaner. Sie spricht sich damit für ein neues aristokratisches Prinzip aus: Geburt adelt, jetzt allerdings sexus, nicht genus. Frauen sind die besseren Menschen. Ich kann das aus meinen Erfahrungen mit SED-Genossinnen nicht bestätigen. Allenfalls gibt es geschlechtsspezifische Gemeinheiten.

Richard Schröder ist Professor für Theol

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