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Meinung: Trialog: Für den Wiederaufbau deutscher Geschichte

Es freut mich, dass das Fortuna-Tor des Potsdamer Stadtschlosses wiederhergestellt wird. Ich bedaure, dass die Leipziger Universitätskirche, die Ulbricht 1968 unter Protest der Leipziger sprengen ließ, nicht wiedererrichtet werden kann.

Es freut mich, dass das Fortuna-Tor des Potsdamer Stadtschlosses wiederhergestellt wird. Ich bedaure, dass die Leipziger Universitätskirche, die Ulbricht 1968 unter Protest der Leipziger sprengen ließ, nicht wiedererrichtet werden kann. Ich hoffe, dass das Berliner Stadtschloss wiederersteht.

Die Gegenargumente kenne ich: Das sei rückwärts gewandt, und eine architektonische Täuschung, denn es entstünde ja nur eine Kopie. Dies Argument tut den Gebäuden zu viel der Ehre an. Es betrachtet sie wie Menschen, und wer einmal tot daliegt, wird nicht mehr lebendig. Ich sehe das ganz anders. Solche Sprengungen sollten uns der steinernen Zeugen unserer Geschichte berauben, um mit ihr zu brechen. Sie taugte nur noch als schwarze Folie für die versprochene herrliche Zukunft. Wie sich doch die Gegner gleichen. Die Verdammung deutscher Geschichte war auch eine Instrumentalisierung, wie ihre nationalistische Verherrlichung. Mit umgekehrtem Vorzeichen.

Gedächtnisverlust, etwa durch einen Schlaganfall, ist Identitätsverlust. Wen das trifft, der kommt mit sich und seiner Welt nicht mehr klar, weil er nicht mehr weiß, was er, Gutes und Schlechtes, erlebt und getan hat. Das gilt mutatis mutandis auch für Nationen. Die gemeinsame Erinnerung und der Wille zur gemeinsamen Zukunft konstituieren nach Auguste Renan eine Nation.

Dass die Deutschen mit ihrer gemeinsamen Erinnerung Schwierigkeiten haben, ist nicht verwunderlich. Die vierzig Jahre getrennter Geschichte sind dabei das kleinere Problem. Das heilt die Zeit. Die größte Schwierigkeit bleibt die finstere Zeit von 1933 bis 1945. Sie ist aber in viel höherem Maße ein revolutionärer Bruch in der deutschen Geschichte als deren stringente Konsequenz. Vorbereitungen können wir identifizieren, aber das alles musste nicht kommen. Wir werden Verharmlosungen und Aufrechnereien entschieden entgegentreten. Aber als Sichtblende, hinter die unsere Erinnerung nicht gelangt, geben wir den zwölf schwarzen Jahren zu viel Bedeutung.

Der griechische Gorgonen-Mythos vom Medusenhaupt bewahrt die Erfahrung, dass die bloße Betrachtung des Schrecklichen nicht befreit, sondern versteinert. Perseus benutzt seinen Schild als Spiegel. Nur im Spiegel von gelebten Biografien kann diese Zeit konkret und heilsam erinnert werden und dazu motivieren, zu tun, was noch möglich ist auf dem Felde von Entschädigungen der Opfer. Nun wenden manche ein, die Erinnerung an deutsche Geschichte sei der Mühe nicht wert oder kontraproduktiv, weil wir auf eine europäische Identität hinarbeiten. Aber wenn es eine europäische Identität nicht bereits gäbe, könnten wir sie nicht erfinden.

Nationen pflegen ihre tragenden Erinnerungen auf Banknoten zu präsentieren. Die Euro-Banknoten stellen die europäischen Stilrichtungen von der Antike bis in die Gegenwart dar. Unter der Bedingung, dass keine konkreten Gebäude abgebildet werden, konnten sich alle Nationen auf dieses Gemeinsame verständigen. Und nun komme ich auf das Berliner Stadtschloss zurück. Die deutsche Kultur war vor dem Zeitalter des Nationalismus selbst europäisch orientiert und der Klassizismus im Besonderen. Berlin war damals eine weltoffene Stadt, in deren Salons Adel und Bürgertum die Journale Europas diskutierten. Die Vervollständigung des Ensembles vom Brandenburger Tor bis zum Stadtschloss zitiert, so gesehen, erfreuliche und vorwärts weisende Erinnerungen.

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