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Meinung: Trialog: Wenn Gewaltfreiheit inhuman wird

Es ist leider Krieg und ich begehr, nicht schuld daran zu sein, heißt es bei Matthias Claudius. Ja, es ist Krieg und darüber kann niemand von uns froh sein.

Es ist leider Krieg und ich begehr, nicht schuld daran zu sein, heißt es bei Matthias Claudius. Ja, es ist Krieg und darüber kann niemand von uns froh sein. Gestern fanden wieder Friedensdemonstrationen statt. Da werden Erinnerungen wach. Ich war damals Zaungast mit fortdauerndem Kopfschütteln. "Lieber rot als tot", habe ich da gehört, also: Diktatur ist gar nicht so schlimm? Die Ahnungslosen. "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin." Der Satz blamiert sich, wenn wir ihn aktualisieren: "Stell dir vor, es wird Terror angesagt und keiner macht mit."

Seit dem 11. September sind solche wohlfeilen Sentimentalitäten passé. Die PDS ließ zu ihrem Parteitag neunundneunzig Luftballons steigen. Das war bloß Kitsch oder mit Hegel gesagt: liederliche Versöhnung. Gregor Gysi, der Mann der flotten Sprüche, möchte bin Laden mit internationalem Haftbefehl suchen. Den gibt es längst, nur hat er keine Wirkung. Man solle ihn wie seinerzeit Eichmann entführen und vor ein internationales Gericht stellen, hat er gesagt. Wollte die PDS nicht eben noch die Geheimdienste abschaffen? Woher aber nehmen wir die Agenten, die glaubhaft Taliban mimen? Und immer wieder hört man den Spruch: man muss die Ursachen des Terrorismus beseitigen. Ja, auf lange Sicht müssen wir einiges tun, um zu verhindern, dass Terroristen Zulauf bekommen. Wenn aber jemand auf dem Marktplatz die Handgranate in der Hand hat, ist "Ursachen beseitigen" ein absurder Rat. Da kann nur durch Gewalt das Schlimmste verhindert werden. Wir leben in einer nachchristlichen Welt. Aus der christlichen Tradition ist Jesu Warnung vor Gewalt und Vergeltung bei vielen noch präsent. Das ist ja gut so. Und "Keine Gewalt!" war ja auch im Herbst 1989 eine sehr wirksame Losung. Als aber 1990 in der Mainzer Straße Bürgerrechtler mit ihren Schärpen "Keine Gewalt!" zwischen Polizei und Hausbesetzern vermitteln wollten, mussten sie schnell vor den Steinwürfen der Hausbesetzer in Deckung gehen und der Polizei das Feld überlassen.

Gewaltlosigkeit kann entwaffnend wirken, muss es aber nicht. Jesus hat mit der Gewaltlosigkeit auch gar kein Konfliktbeseitigungsrezept gemeint, sondern eine Haltung ohne Erfolgsgarantie. Was unsere nachchristliche Gesellschaft verdrängt hat, ist das christliche Wissen von der Abgründigkeit des Bösen im Menschen, von dem Bösen, das sich als Gutes tarnt (bin Laden will nur das Beste - wie er es versteht) und das Wissen von tragischen Situationen, in denen das Beste doch nur die Wahl des kleineren Übels ist. Gewaltlosigkeit wird inhuman, wenn sie nicht auf eigene Kosten, sondern auf Kosten anderer praktiziert wird. Deshalb kann der Staat, der seine Bürger zu schützen hat, nicht grundsätzlich auf Gewalt verzichten. Denn das ginge zu Lasten der Bürger. Nach christlichem Verständnis ist es die Aufgabe des Staates, "in der noch nicht erlösten Welt nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen", wie es 1932 die Barmer Bekenntnissynode formuliert hat.

Da man Terroristen nicht bekehren kann und schon gar nicht durch Nichtstun, bleibt nichts anderes übrig, als diejenigen Machthaber, die sie decken, durch Gewalt davon abzubringen. Das ist riskant. Wir können nur hoffen, dass dabei das mögliche Maß menschlicher Einsicht nicht unterboten wird. Aber "Friede, Freude, Eierkuchen" war schon immer Blödsinn.

Richard Schröder ist Professor für Theol

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