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Türkei: Ankara strahlt

Die neue Außenpolitik der Türkei ist keine Abkehr von Europa – sie nutzt Europa. Ankara reformiert mittlerweile aus Eigeninteresse.

Driftet die Türkei ab? Wendet sie sich von Europa und dem Westen ab, um ihr Heil stattdessen mit Bösewichtern wie Teheran und Damaskus zu suchen? Und ist die EU schuld daran, weil sie das Beitrittsversprechen für das muslimische Land immer wieder verwässert?

Die Türkei verfolgt mit ungeahntem Pragmatismus ihre Interessen als Regionalmacht an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien, Nahost und Kaukasus. Deutlich spürbar ist ein neues Selbstbewusstsein. Doch das ist keine Abkehr seiner bisherigen Außenpolitik. Vielmehr kann sich diese jetzt erstmals entfalten: Einmal haben die USA, durch das Irakabenteuer geschwächt, in Nahost und der Region ein Vakuum hinterlassen. Dann hat sich das Land reformiert und demokratisiert – dank der gleichwohl brüchigen Beitrittsperspektive zur EU. Dazu zählt vor allem der neue Umgang mit Minderheiten wie Kurden und Alewiten. Dadurch wurde erst möglich, dass die Türkei über ihre Grenzen hinaus glaubwürdig agieren kann. Denn die Bereinigung der Probleme mit den Nachbarstaaten auf höchster politischer Ebene wird unterstützt durch eine neue liberale Offenheit für Handel, Wirtschaft und Migration in alle Richtungen. Für einige Länder der arabischen Welt ist die Türkei gar zu einem Modell geworden ist. Und dies nicht erst durch die populistischen Sprüche von Premier Erdogan in der Palästinafrage.

Auch das Zerbrechen der Allianz mit Israel ist keine Abkehr vom Pragmatismus, sondern Folge der wiederholten Brüskierungen durch Jerusalem, das wenig für diese Verbindung getan hat. Das Umdenken in der arabischen Welt hat eingesetzt, als das türkische Parlament den USA verbot, ihr Land als Aufmarschgebiet für die Invasion Iraks zu nutzen. Das hat mehr Sympathie für die Demokratie geschaffen als alle Transferversuche des Westens in Irak oder Afghanistan.

Das bedeutet zweierlei: Die Türkei kann diese Außenpolitik nur fortsetzen, wenn sich die Liberalisierung des Landes fortsetzt. Dazu war die europäische Option nötig. Ob das eigentlich überfällige Bekenntnis der EU zum Beitritt der Türkei heute noch notwendig ist, scheint dagegen fraglich. Denn Ankara reformiert mittlerweile aus Eigeninteresse. Zivilgesellschaft und freie Presse übernehmen einen Teil des Drucks, der bisher von außen kam. Vor allem aber könnte Ankara seine Regionalpolitik, mit Kontakten nach Teheran und Damaskus, im Rahmen der EU nur bedingt verfolgen. Doch gerade diese Unvoreingenommenheit, diese andere Art der Kommunikation ist eine Ergänzung zur EU-Politik und dient ihren Interessen: Stabilisierung und wirtschaftliche Entwicklung auch im Vorhof Europas. Vorleben des Demokratiemodells, aber nicht von oben herab. Europa sollte mehr Respekt und Unterstützung für diese Leistung der Türkei zeigen. Je erfolgreicher diese Politik ist, desto weniger stellt sich die Frage eines EU-Beitritts der Türkei – für beide Seiten.

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