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Die endgültigen Wahlergebnisse aus Tunesien werden am Dienstagabend erwartet. Doch es zeichnet sich ein klarer Wahlsieg der Islamisten ab.

© AFP

Tunesien: Auf den Arabischen Frühling folgt der islamische Sommer

Der Wahlerfolg der islamistischen Ennahda-Partei in Tunesien löst im Westen gemischte Gefühle aus. Dabei gilt die politische Führung als gemäßigt.

Die Mutmaßungen haben ein Ende, jetzt ist es amtlich: Der Arabische Frühling, den der Westen bejubelt, bringt gemäßigte Islamisten an die Macht. Tunesien war der Ausgangspunkt für die Volksaufstände in der Region. Nun hat das nordafrikanische Land mit freien Wahlen als erstes die nächste Phase des Transformationsprozesses eingeleitet. Und die islamistische Ennahda- Partei zur stärksten Fraktion gemacht. Damit verstärkt sich auch die Vermutung, dass in Ägypten die Muslimbrüder als stärkste Kraft aus den ersten freien Wahlen hervorgehen werden. Hat sich nun ein großer Teil der tunesischen Bevölkerung für einen islamischen Gottesstaat ausgesprochen?

Nein. Viele Tunesier haben gewählt, was sie kennen und was ihnen glaubwürdig erscheint. Die bis zum Sturz von Machthaber Ben Ali verbotene Ennahda hat wie die meisten islamistischen Bewegungen Sozialarbeit geleistet und sich Ansehen erworben. Viele Mitglieder saßen als politische Gefangene im Gefängnis – daraus resultiert Glaubwürdigkeit. Dies mag auch der Grund sein, warum überraschende 42 Prozent der in Deutschland lebenden Tunesier Ennahda gewählt haben. Aber Gesellschaftspolitik und politische Rhetorik werden möglicherweise islamischer geprägt sein – wie weit das geht, ist offen.

Allerdings sind den Islamisten viele Fesseln angelegt. Die Partei hat keine absolute Mehrheit, sondern muss eine Koalition bilden. Im Gespräch sind die Sozialdemokraten. Das will Ennahda aber auch, denn die Parteiführung um Raschid Ghannouchi weiß, dass sie einen Vertrauensvorschuss erhalten hat. Wenn sie die Wirtschaft nicht ankurbeln kann, wird sie spätestens in vier Jahren abgewählt. Zum Erfolg braucht sie auch den Westen, dessen Investitionen, Hilfen und vor allem Touristen. Radikale Ausschläge kämen das Land teuer zu stehen. Dieses Argument wird Ghannouchi auch in dem internen Kampf bemühen, der ihm noch bevorsteht: Die Basis ist manchmal radikaler als die Führung, die Jahrzehnte im westlichen Exil verbracht hat. Zudem wird die städtische Mittel- und Oberschicht – gut ausgebildet, liberal, frankophon – weiter gegenhalten.

Für die abgesetzten Diktatoren Ben Ali und Hosni Mubarak mag es eine späte Genugtuung sein, dass sie zumindest in einem Punkt richtig lagen. Sie haben ihre repressive Herrschaft immer damit gerechtfertigt, dass sonst die Islamisten an die Macht kommen – und der Westen hat ihnen deshalb die Treue gehalten. Das tut der Westen nicht mehr oder nicht mehr überall. Und so muss er sich auch eine neue Position gegenüber den islamistischen Parteien einfallen lassen, die demokratisch an die Macht kommen. Vor 20 Jahren hatte der Westen noch die algerischen Militärs bejubelt, als sie die Parlamentswahlen abbrachen, weil sich ein Sieg der Islamischen Heilsfront abzeichnete. Vor sechs Jahren wurden die Palästinenser boykottiert, weil sie die islamistische Hamas gewählt hatten. Beide Gruppen sind militanter als Ennahda – aber sie haben sich durch den Diebstahl des Wahlsieges sicher auch weiter radikalisiert. Diese historische Erfahrung mag im Westen zu der Einsicht beitragen, dass man sich in Tunesien mit Panikmache und Einmischung besser zurückhalten sollte. Allerdings muss der Westen sich überwinden und die neue Führung unterstützen, damit das Land wirtschaftlich auf die Beine kommt.

So bietet Tunesien eine Laborsituation. Der Westen kann sich im Umgang mit moderaten islamistischen Gruppen üben, die in der arabischen Welt verstärkt seine Ansprechpartner sein werden. Und Ennahda wird sich in der Praxis bewähren müssen. Ist sie rein ideologisch-islamistisch, wird sie die Probleme des Landes nicht lösen, sondern verschärfen und bei den nächsten Wahlen wohl abgestraft. Wahrscheinlich ist sie aber eher eine konservative Kraft, die sich als Gegenstück zu den mehrheitlich links eingestellten laizistischen Kräften versteht. In beiden Fällen sind die Lehren interessant für die übrigen Länder des Arabischen Frühlings, wo die Ausgangssituationen teilweise schwieriger sind.

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