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Meinung: Tyrann vor Gericht

Der Prozess gegen Saddam Hussein ist auch eine Frage der völkerrechtlichen Legitimation

Als Saddam Hussein, welch eine Sensation, vor zwei Jahren lebend gefasst wurde, haben die amerikanischen Militärärzte dem Mann aus der Erdhöhle sogleich in die Mundhöhle geleuchtet. Vermutlich wirkte da wie ein Menetekel noch immer nach, dass sechs Jahrzehnte zuvor der ranghöchste Gefangene eines modernen Krieges nach einem bis dahin beispiellosen Tribunal noch Selbstmord begangen hatte. Obwohl von den Amerikanern rund um die Uhr bewacht, zerbiss Hermann Göring, der Zweite Mann des „Dritten Reichs“, zwei Stunden vor seiner Hinrichtung in Nürnberg eine Zyankalikapsel.

Es ist also ein historischer Moment, wenn Saddam heute in Bagdad vor ein irakisches Gericht treten muss. Noch nie ist einem ehemaligen Staatschef von solch blutigem Kaliber und ähnlicher internationaler Bedeutung im eigenen Land und vor den Augen der Welt der Prozess gemacht worden. Das späte Dschungelverhör des bereits todkranken Pol Pot oder die kurze Revolutionsjustiz gegenüber Rumäniens Diktator Ceausescu waren in vielerlei Hinsicht unvergleichbare Fälle. Der besiegte Napoleon wurde ohne Urteil verbannt, und Hitler und Stalin, mit denen wiederum Saddam nicht zu vergleichen wäre, sie sind der irdischen Gerechtigkeit entgangen.

Milosevic in Den Haag, nicht in Belgrad, vor Gericht zu stellen, ist der andere Präzedenzfall. Aber der Despot von Bagdad hat eine dunklere, die Anteil nehmende Welt viel heftiger bewegende Aura. Womit kein Toter und keine Tat auf dem Balkan geschmälert werden soll.

Vor 60 Jahren hat das alliierte Nürnberger Tribunal mit der Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen der „Verschwörung gegen den Frieden“ und der Planung eines Angriffskrieges zum ersten Mal ein Exempel völkerrechtlicher Strafjustiz statuiert. Die Nürnberger Prozesse haben zwar neue Diktaturen, Völkermorde und Kriege nicht verhindern können. Doch in den letzten Jahren ist im Zuge der Globalisierung die Idee universeller Menschenrechte auf kaum mehr zurückzunehmende Weise neu belebt worden. Diese Idee, das Urteil von Nürnberg, der Internationale Gerichtshof in Den Haag und ein durch die elektronischen Medien gestützter weltweiter Beobachtungsdruck bewirken, dass politische Gewaltherrscher sich heute nicht mehr für alle Zeit sicher fühlen können.

Auch der Prozess von Bagdad könnte ein neues Zeichen setzen. Doch belastet ihn, neben der (bürger-)kriegerischen Unsicherheit im Irak, dass die juristische Legitimität des Gerichts nicht unangreifbar ist. In Nürnberg saßen die Sieger eines Krieges, in dem sie die Angegriffenen, die Überfallenen waren, formell berechtigt zu Gericht. Und obwohl es für die Anklagepunkte keine geschriebenen Gesetze gab, konnte sich angesichts der Nazi-Gräuel kein Angeklagter auf mangelndes Unrechtsbewusstsein berufen.

Mangelndes Unrechtsbewusstsein bei Gasangriffen, Folter und Massenmord wäre auch im Fall Saddams ein irrer Hohn. Aber der Tyrann ist durch keine Erhebung des eigenen Volkes gestürzt und durch keinen wirklich souveränen Akt der irakischen Justiz vor Gericht gestellt worden. Auch hat die amerikanische Besatzungsmacht nicht in einem Verteidigungskrieg, sondern durch Angriff gesiegt. Gerecht ist die Anklage gegen Saddam also zweifellos. Doch ihre eigene Legitimität werden die Richter noch verteidigen und beglaubigen müssen.

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