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Meinung: Überfordert

Stellen Sie sich vor, Sie wären Geschworener im Prozess gegen Marc Dutroux gewesen. Sie hätten über den Vorwurf befinden müssen, ob Belgiens feine Gesellschaft von Kinderschändern durchdrungen ist, Sie hätten sich über merkwürdig verkettete Todesfälle von Zeugen wundern, vor den grausigen Schilderungen der Opfer erschauern und in die 450 000 Seiten Ermittlungsakten zumindest mal hineinlesen müssen.

Stellen Sie sich vor, Sie wären Geschworener im Prozess gegen Marc Dutroux gewesen. Sie hätten über den Vorwurf befinden müssen, ob Belgiens feine Gesellschaft von Kinderschändern durchdrungen ist, Sie hätten sich über merkwürdig verkettete Todesfälle von Zeugen wundern, vor den grausigen Schilderungen der Opfer erschauern und in die 450 000 Seiten Ermittlungsakten zumindest mal hineinlesen müssen. Dann hätten Sie sich ein Urteil gebildet über ein fremdes Leben, das in Ihrer Hand liegt. Überfordert? Das waren alle in diesem Fall, von Anfang an. Marc Dutroux’s Taten offenbarten nicht nur menschliche Abgründe, der behördliche Umgang mit ihnen wies auch auf Schwächen im Polizei und Justizsystem, die sich kein Rechtsstaat leisten kann. Schon die Art des Prozesses jetzt deutet darauf hin, dass sie nicht alle überwunden worden sind. Belgien kann froh sein, dass in einem entscheidenden Punkt doch noch Berufsrichter eingreifen konnten. Jetzt hat es das Land schwarz auf weiß, dass nichts dran war an der großen Verschwörungstheorie, an der die Medien im Land eifrig gebastelt hatten. Wer da mithechelte, wird womöglich enttäuscht sein. Doch die Abkühlung erhitzter Fantasie ist so wohltuend wie die Gewissheit, dass Dutroux wohl für den Rest seines Lebens hinter Gittern verschwinden wird. Allzu schnell wird aus einem Kriminellen ein Mythos, aus einem Prozess ein Politikum. Selten lohnen solche Verfahren die Aufmerksamkeit, die sie bekommen. neu

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