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La li'l dustur - "Nein zur Verfassung" ist auf einem Schild zu lesen. Das Referendum über den umstrittenen Entwurf werden die Muslimbrüder aber wohl trotzdem gewinnen.

© dpa

Umstrittenes Verfassungsreferendum: Die Muslimbrüder ruinieren Ägypten wirtschaftlich und politisch

Die Muslimbrüder peitschen ihre umstrittene Verfassung durch. Das Land ist gespalten wie nie. Die Rücksichtslose Politik der regierenden Islamisten hat das Land in eine Sackgasse manövriert. Wichtige Geldgeber, auch Deutschland, gehen auf Distanz.

Knallende Sektkorken kennen Ägyptens Islamisten bekanntlich nicht. Aber auch sonst gab es nichts zu feiern nach der ersten Runde des Verfassungsreferendums. Die Zustimmung der Bevölkerung liegt bei mageren 56 Prozent. Das oppositionelle Lager erweist sich als überraschend stark, trotz offenbar grassierender Wahlverstöße, Stimmenkäufe und Urnenmanipulationen. In der Metropole Kairo verweigerten sich fast zwei Drittel der Bürger dem islamistischen Verfassungsprojekt, auf der anderen Nilseite in Giza könnte die Resonanz ähnlich ausfallen. Ein Ja für die Verfassung ist ein Ja für den Islam – solche simplen Parolen ziehen allenfalls noch auf den Dörfern, wo viele Analphabeten leben. Ägyptens Stadtbevölkerung jedoch geht auf Distanz.

Noch fehlt das Votum der zweiten Hälfte Ägyptens, das am kommenden Samstag folgt. Und wie es aussieht, werden die Islamisten ihre Verfassung am Ende wohl mit Ach und Krach über die Bühne bringen. Doch zu was für einem Preis? In den letzten drei Wochen haben Mohammed Mursi und seine Muslimbrüder praktisch den gesamten Staat und seine Institutionen zerlegt. Vor dem Verfassungsgericht schieben nach wie vor Islamisten drohend Wache und hindern die obersten Richter an ihrer Arbeit. Die vom Premierminister tagsüber ausgerufene Steueranhebung pfiff der Staatschef zwei Uhr nachts per Facebook wieder zurück. Bis zu den Parlamentswahlen im Frühjahr soll alles in der Schublade verschwinden. Der Schlüsselkredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) liegt damit weiterhin auf Eis und mit ihm die dringend benötigten Folgekredite anderer Geldgeber. Die ägyptische Währung geht bereits in die Knie. (Update: Inzwischen hat auch Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) angekündigt, einen geplanten Schuldenerlass für Ägypten zu verschieben, bist die Regierung zu demokratischen Reformen zurückkehre. Die Bundesregierung unterhält nur noch eingeschränkten politischen Kontakt mit Kairo.)

Dafür grassiert die Gewalt. Salafisten belagern den Fernseh-Medienpark und rufen verschlüsselt zum politischen Mord auf. Jeden Tag schlachten sie symbolisch eine Ziege, die sie El Baradei, Sabahi oder Moussa nennen – nach den Spitzenpolitikern der Opposition. Am Wochenende überfielen ihre bärtigen Schläger die Parteizentrale der alten liberalen Wafd-Partei. Während der Krawalle vor dem Präsidentenpalast versuchten Greiftrupps der Muslimbrüder, aus Anti-Mursi-Demonstranten herauszuprügeln, sie seien vom alten Regime bezahlte Schläger. Im Gegenzug gingen 35 Parteibüros der Muslimbrüder in Flammen auf, darunter auch die nagelneue Zentrale im Kairoer Stadtteil Muqqattam.

Zwei Jahre nach der Revolution auf dem Tahrir-Platz haben die Muslimbrüder mit ihrem machtversessenen Verfassungsdrama Ägypten in eine gefährliche Sackgasse hineinmanövriert. Wirtschaftlich hat das Land nichts mehr zuzusetzen. Politisch ist es gelähmt wie nie zuvor. Und die Gesellschaft trudelt hilflos dem heraufziehenden Haushaltsnotstand mit fast zwangsläufigen sozialen Turbulenzen entgegen. Mit traditionellen Moralforderungen nach Scharia, Vielehe oder Alkoholverbot ist in Ägypten kein Staat mehr zu machen. Zu Fragen von sozialer Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung und staatlicher Sozialpolitik dagegen schweigt sich die Islamisten-Verfassung weitgehend aus.

Islam ist die Lösung – mit dieser Verheißung waren die Muslimbrüder angetreten. Dem wird nun eine sehr irdische Ernüchterung folgen.

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