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Meinung: UN-Kriegsverbrechertribunal: Kronzeugin unter Anklage

Bald acht Jahre gibt es das Haager Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Seit mehr als vier Jahren ist Bosnien-Herzegowina, wo es zu den schlimmsten Vertreibungen, Vergewaltigungen und Folterungen kam, von internationalen Friedenstruppen besetzt.

Bald acht Jahre gibt es das Haager Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Seit mehr als vier Jahren ist Bosnien-Herzegowina, wo es zu den schlimmsten Vertreibungen, Vergewaltigungen und Folterungen kam, von internationalen Friedenstruppen besetzt. Dennoch wurde bisher nicht einer der politisch Hauptverantwortlichen gefasst und im Haag vor Gericht gestellt. Nur vier kleinere Verbrecher sind rechtskräftig verurteilt, weitere zehn erhielten in erster Instanz Haftstrafen.

Doch nun hat sich Biljana Plavsic gestellt. Anfangs war sie die rechte Hand des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic und eine schlimme Hetzerin gegen Moslems und Kroaten, hat die brutalsten Milizenführer wie den berüchtigten "Arkan" zu Helden erklärt und geküsst. Nach dem Dayton-Frieden 1996 agierte sie als Präsidentin der bosnischen Serben-Republik gemäßigt und war zu bedingter Zusammenarbeit mit dem Westen bereit. Warum kommt die 70-Jährige freiwillig nach Den Haag?

Erstens ist ihr Risiko gering: Was kann man ihr schon beweisen? Sie hat keine Uniform getragen, keine Truppen befehligt. Klar, politisch stand sie an Karadzics Seite, aber wo sind die Belege, dass sie an verbrecherischen Beschlüssen beteiligt war? Warum also soll sie sich bis zum Lebensende in Bosnien verstecken? Und wenn man sie juristisch doch stellen kann, darf sie, zweitens, doch wohl auf einen Kronzeugen-Bonus hoffen - auch wenn Chefanklägerin Carla del Ponte bestreitet, dass es vorab eine solche Absprache gab. Von wem sonst wollen die Richter Belastendes gegen die noch schwärzeren Schafe erfahren: Slobodan Milosevic, Radovan Karadzic und dessen General Radko Mladic? Mit allen dreien hat sich Plavsic schon lange überworfen - und einige Rechnungen offen.

Drittens gibt Plavsic, wenn sie als erste auspackt, vor, wie die Welt die Verbrechen und Verantwortlichkeiten sehen soll. Muss es uns wundern, wenn sie - verglichen mit dem NS-Regime und den Nürnberger Prozessen - Milosevic, Karadzic und Mladic die Rollen der Goebbels, Hitler und Himmler zuschreibt und selbst den bosno-serbischen Rudolf Hess gibt: die Person, die anfangs verwickelt war, aber umkehrte und Frieden schließen wollte? Hess wurde in Nürnberg zu lebenslang verurteilt. Das wird Biljana Plavsic im Haag garantiert nicht passieren. Da kalkuliert sie schon richtig.

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