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Der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig sagte, die Gefahr, dass viele Menschen getötet würden, dürfe nicht unterschätzt werden.

© AFP

UN-Sicherheitsrat: Deutschland hatte nur schlechte Optionen

Deutschland hat mit seinem Votum zu Libyen im UN-Sicherheitsrat das Verhältnis zu seinen wichtigsten Partnern strapaziert. Doch wer darauf verweist, Deutschland sitze nun unglücklicherweise an der Seite Chinas und Russlands, denkt nicht weit genug.

Von Hans Monath

Über das fast einhellig vernichtende Urteil über das deutsche Votum zu Libyen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist ein wichtiges Faktum fast in Vergessenheit geraten: Keine deutsche Partei will, dass sich die Bundeswehr am Krieg in Libyen beteiligt. Gestritten wird nur darüber, welchen Schaden die Abstimmung im UN-Sicherheitsrat angerichtet hat und ob die deutsche Enthaltung nötig war, um zu verhindern, dass die Bundeswehr in einen militärischen Konflikt hineingezogen wird, dessen Ausgang im Moment völlig offen ist.

Womöglich ist das Urteil verfrüht, mit seiner Enthaltung habe Deutschland jeden Anspruch verwirkt, im Sicherheitsrat glaubhaft Politik zu gestalten. Oft wurde in den vergangenen Tagen darauf verwiesen, mit diesem Votum stehe die Bundesregierung unglücklicherweise an der Seite Chinas und Russlands. Kein Mensch kommt umgekehrt auf die Idee, der US-Regierung Nähe zur Hisbollah vorzuwerfen, nur weil sie genauso wie der Libanon stimmte, in dessen Regierung die radikalislamische Organisation vertreten ist, die Terroranschläge gegen Israel predigt.

Neben den zwei Vetomächten Russland und China haben sich Brasilien und Indien genau wie Deutschland enthalten. Indien ist die größte Demokratie der Welt. Beide Schwellenländer gelten als wichtige Aktivposten in einer künftigen Weltordnung, die nicht weiter nur die Machtverhältnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit abbildet, sondern der dynamischen Entwicklung der Welt Rechnung trägt, in der nicht mehr Wenige über das Schicksal aller bestimmen können, sondern die multipolar sein wird. Beide Staaten wollen wie Deutschland einen dauerhaften Sitz im Sicherheitsrat.

Unstrittig ist, dass Deutschland mit seinem Votum das Verhältnis zu seinen wichtigsten Bündnispartnern in Washington, Paris und London strapaziert. Aber man sollte zumindest auch den Gedanken zulassen, dass die deutsche Außenpolitik in einer Lage, in der es keine einfache Antwort gab, mit wichtigen Akteuren einer künftigen, repräsentativeren und womöglich auch gerechteren Weltordnung gestimmt hat. Unterschätzen sollte man dieses Lager nicht: Die fünf Mächte, die sich enthielten, bringen gemeinsam fast die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung auf die Waage. Freilich wird sich diese neue Struktur der UN nicht gegen die Hauptstädte des Westens, sondern nur mit ihnen gestalten lassen. Mit den USA, Frankreich und Großbritannien stimmten die Regierungen von Bosnien, Kolumbien, Gabun, Libanon, Nigeria, Portugal und Südafrika.

Auch der Vorwurf, Deutschland habe sich mit seiner Abstimmung die Einigkeit der Europäischen Union (EU) torpediert, geht ins Leere. Wenige Tage vor der Abstimmung hatten die EU-Außenminister zum Thema Libyen beraten. Frankreich und Großbritannien drangen dort nicht durch mit ihrer Forderung nach einer Flugverbotszone, sondern blieben in der Minderheit. Einstimmig beschlossen wurde stattdessen die Verschärfung der Sanktionen gegen Gaddafi, für die sich Berlin stark gemacht hatte und die sich nun auch im Resolutionstext wieder findet.

Im Sicherheitsrat kündigte nicht der deutsche UN-Botschafter den gemeinsamen Konsens auf. Das taten die Vertreter von Paris und London, die entgegen der gemeinsamen EU-Linie auf das militärische Vorgehen drängten. Sie waren erfolgreich, weil sich inzwischen die Voraussetzungen geändert hatten und die arabische Liga grünes Licht gegeben hatte. Leider zeigt sich nun, dass die deutschen Bedenken gegenüber der Belastbarkeit und Ernsthaftigkeit der arabischen Unterstützung berechtigt waren: Ausgerechnet ihr Generalsekretär Mussa kritisiert inzwischen, die Luftschläge richteten sich gegen die Zivilisten, die sie schützen sollen.

Die Bundeswehr oder ihre Kampfbomber will, wie gesagt, keine deutsche Partei in Marsch setzen, um den Aufständischen in Libyen zu helfen und die Zivilisten in dem Land zu schützen. Man kann sich vorstellen, wie die Debatte nun laufen würde, wenn Deutschland im Sicherheitsrat mit Ja gestimmt hätte und trotzdem keinen militärischen Beitrag leisten wollte. Der Widerspruch zwischen Zustimmung zum militärischen Eingreifen und faktischer militärischer Abstinenz wäre nicht weniger groß als der zwischen Enthaltung und dem Wunsch nach Gaddafis Entmachtung. Dazu käme massiver Druck der Verbündeten auf Berlin, sich schon der Glaubwürdigkeit willen mit der Bundeswehr am Krieg in Libyen zu beteiligen. Auch dann hätten wir eine Diskussion über einen deutschen "Sonderweg".

Es gab nur schlechte Optionen für Deutschland in dieser Nacht im Sicherheitsrat. Eine hat die Berliner Regierung wählen müssen. Wie das Urteil über diese Option ausfällt, wird davon abhängen, ob die Operation "Odysee Dawn" den Libyern eine bessere Zukunft beschert. Nun, da die Operation begonnen hat, muss jeder auf ihren Erfolg hoffen. Das gilt auch für die, die zuvor die Risiken des Eingreifens für unkalkulierbar hielten.

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