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Meinung: Uneingeschränkt ehrlich

Von Robert von Rimscha Haben Sie schon einmal eine Bundestagsdebatte gehört, in der jeder Satz von Nachdenklichkeit und Ehrlichkeit geprägt war? In der auch in Wahlkampfzeiten der Wahlkampf nicht vorkam, in der niemand die Redner und die dazugehörigen Parteien hätte zuordnen können?

Von Robert von Rimscha

Haben Sie schon einmal eine Bundestagsdebatte gehört, in der jeder Satz von Nachdenklichkeit und Ehrlichkeit geprägt war? In der auch in Wahlkampfzeiten der Wahlkampf nicht vorkam, in der niemand die Redner und die dazugehörigen Parteien hätte zuordnen können?

Der Donnerstagabend brachte eine solche Debatte. Thema waren die transatlantischen Beziehungen. Zugleich verabschiedeten sich zwei renommierte Außenpolitiker aus dem Parlament: der Sozialdemokrat Volkmar Schultz und der Christdemokrat Karl Lamers. Was beide zu sagen hatten, gehört ins Stammbuch deutscher Außenpolitik. Schultz beschrieb Europa und die USA als von unterschiedlichen Geschwindigkeiten bestimmt. Lamers analysierte, „tiefe Differenzen“ seien seit dem 11. September offenkundig geworden. Deutschland setze falsche Prioritäten; nötig sei eine grundlegende Neubewertung unserer Lage und unserer Ziele.

Es scheint die Nische abendlicher Nichtbeachtung vor fast leeren Bundestags-Rängen zu brauchen, damit die Gedanken frei werden. Leider braucht es wohl auch den Abschied, um solche kleinen Sternstunden des Parlamentarismus zu ermöglichen.

Es ist schon beeindruckend, wie klar die Herausforderung an die Bundesrepublik formuliert wird, wenn die Zwänge der Tagespolitik unter dem Eindruck des Ausscheidens verblassen. Lamers forderte eine Nato als globalen Akteur und Europa als „gleichwertig, nicht gleichartig“ gegenüber den USA. Joschka Fischer schüttelte zwar den Kopf, weil er nicht so vermessen sein will, fand dann aber die eindringlichen Formeln, Amerika sei eine „Hegemonialmacht wider Willen"; Europa dagegen sei „keine Macht, sondern eine Macht im Werden".

Seit Monaten wächst das Unbehagen gegenüber offiziösen Stellungnahmen, die über die wahren Spannungen zwischen Europa und den USA hinwegtäuschen. Auch Gerhard Schröder macht es sich zu einfach, wenn ihm nur „ausgezeichnet“ und „besser denn je“ einfällt. Bislang wurde nur in den Hinterzimmern der Macht Klartext gesprochen: Die Nato ist tot, Europas Bedeutung schwindet, das Lebensgefühl driftet auseinander, der Nahost-Konflikt hat zu einer weiteren transatlantischen Entzweiung geführt, weil in den USA eine Verknüpfung zwischen europäischem Antisemitismus, dem Erstarken des rechten Rands und übertriebener Israel-Kritik hergestellt wird.

Wenn es das Vermächtnis von Karl Lamers, der über 20 Jahre lang eine der wichtigsten außenpolitischen Stimmen im Bundestag war, sein sollte, Ehrlichkeit und Nüchternheit jenseits von Sonntagsfloskeln und Luftbrückenromantik zurück in die transatlantischen Beziehungen geholt zu haben, hat er sich zum Ende seiner Abgeordneten-Laufbahn einen weiteren bleibenden Verdienst erworben. Ein Schritt hin zu neuer Ehrlichkeit: ein gutes Vermächtnis.

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