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Unfall in Krümmel: Druck im Reaktorkern

Glücklicherweise nichts passiert: Der Zwischenfall im AKW Krümmel war keineswegs harmlos.

Wenn man dem Chef von Vattenfall glauben mag, war der Zwischenfall im Atomkraftwerk (AKW) Krümmel eine Lappalie: Weit entfernt vom Reaktorgebäude brannte irgendwo ein Transformator. Die Sicherheitssysteme reagierten sogar mit Schnellabschaltung, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Das Ereignis gehörte zur niedrigsten Meldekategorie, Gefahr für die Umwelt bestand zu keinem Zeitpunkt. Als einzige Konsequenz kündigte der Atommanager gestern an, die Öffentlichkeit künftig noch besser zu informieren, sogar via Internet.

Allerdings wird Vattenfall mit Sicherheit keine Webcams in seinen AKW-Kontrollräumen installieren: Wie sich jetzt herausstellte, ging es dort während des Brandes in Krümmel drunter und drüber.

Alle Katastrophen nehmen von scheinbar harmlosen Ereignissen ihren Ausgang. Im AKW Krümmel gab es am 28. Juni um 15 Uhr 2 einen Kurzschluss in einem Transformator. Das kommt in allen Kraftwerken vor, die benachbarten Feuerwehren haben das Löschen von Trafobränden extra geübt. Der Brand des Transformators „AT 01“ hatte allerdings Auswirkungen auf die nukleare Sicherheit, weil „AT 01“ mit dem Stromkreis für das Kühlsystem des Reaktorkerns verbunden ist. Wenn die Kühlung der radioaktiven Brennstäbe ausfällt, kommt es zur Schmelze des Reaktorkerns und zum GAU wie in Tschernobyl.

Deshalb gibt es im Betriebshandbuch für einen derartigen Ausfall eine klare Handlungsanweisung: Der Hauptgenerator wird „entregt“, also die Stromerzeugung des Kernkraftwerks abgeschaltet. Die Kühlpumpen des weiterhin aktiven Reaktorkerns bekommen ihren Strom dann über den mit „AT 01“ baugleichen Transformator „AT 02“, der sich den Strom aus dem Hochspannungsnetz holt, das sonst vom AKW gespeist wird. Solche doppelten Bauteile sind in Kernkraftwerken Standard, das Umschalten der Stromversorgung auf „AT 02“ hätte reine Routine sein müssen. Der Kernreaktor bleibt in so einem Fall in Betrieb, der erzeugte Dampf wird jedoch nicht mehr über die Turbinen des Generators geleitet, sondern ohne Stromerzeugung abgekühlt.

Doch an diesem Donnerstag im Juni kam alles ganz anders.

Bei der „Entregung“ des Generators – eigentlich auch ein Routinevorgang – kam es zu unerwarteten Stromschwankungen, woraufhin beim Ersatztransformator „AT 02“ kurzerhand die Sicherung rausflog. In dieser Situation, wenn beide Haupttrafos ausgefallen sind, wird die Kühlung des AKW nur noch über eine Notstromleitung aus einem Fremdnetz versorgt. Der Steuercomputer des Kraftwerks schritt deshalb programmgemäß zum Äußersten und schaltete den Reaktorkern ab.

Doch dann passierte das, was für die Techniker in der Leitwarte der schlimmste Albtraum sein muss: Statt programmgemäß auf den Notstrom umzuschalten, blieben die Kühlpumpen des Reaktorkerns einfach stehen. Durch die enorme Hitze der radioaktiven Brennstäbe steigt in so einem Fall schlagartig der Druck im Reaktorkern. Deshalb schaltet der Computer die Notkühlung ein und stellt automatisch den „Durchdringungsabschluss“ des radioaktiven Kerns her – alle Verbindungen nach Außen werden dichtgemacht, um eine radioaktive Verseuchung mit letzten Mitteln zu verhindern.

Wenn der Durchdringungsabschluss hergestellt ist, können die Techniker den Druck nur noch von Hand über ein Notventil regulieren – jetzt dürfen sie keinen Fehler mehr machen. Ob zu diesem Zeitpunkt die Leitwarte bereits unter Rauch stand, so dass ein Techniker die Gasmaske anziehen musste, ist nicht bekannt. Jedenfalls hatte sich zu allem Übel bei der Umschaltung auf Notstrom der Steuercomputer abgeschaltet, die Übernahme durch den Ersatzcomputer machte Probleme. In dieser Stresssituation passierte der nächste Fehler: Statt den Druck vorsichtig zu regulieren, senkte der offenbar überforderte Reaktorfahrer den Betriebsdruck unkontrolliert fast auf null ab – das „Drucklosfahren“ des Kernreaktors ist eigentlich eine ultima ratio, um den GAU zu verhindern.

In Krümmel ist glücklicherweise nichts weiter passiert. Die Kombination von unerwarteten Betriebszuständen, Computerfehlern und menschlichen Fehlhandlungen ist jedoch der Stoff, aus dem nukleare Katastrophen wie die von Tschernobyl gemacht sind. Daran kann auch perfekte Ingenieurskunst nichts ändern: Auch die besten Flugzeuge können abstürzen, die besten Schiffe können sinken – und jedes Kernkraftwerk kann eine Katastrophe auslösen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

Alexander Kekulé

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