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Ungarn und Europa: Macht über die Meinung

Ungarn sollte dem übrigen Europa sein beunruhigendes neues Mediengesetz erklären. Die Erläuterungen, die die ungarische Botschaft versandt hat, sind nicht sehr überzeugend.

W ohin geht Ungarn? Wer ein Mediengesetz einführt wie das, das das ungarische Parlament verabschiedet hat, muss sich über die Frage nicht wundern. Erst recht, wenn er mit Beginn des nächsten Jahres die Präsidentschaft der Europäischen Union übernimmt. Denn es gibt einem neu errichteten Medienrat wahrhaft umfassende Vollmachten. Er kann künftig – vom 1. Januar an, eben dem Tag, von dem an das Land den übrigen Europäern vorsitzt – die Arbeit der Medien massiv beeinflussen, beaufsichtigen und mit Sanktionen belegen.

Dass so ein „völlig europäisches Mediengesetz“ aussieht, wie Ministerpräsident Viktor Orban behauptet, kann er im Ernst nicht glauben. Und man wüsste gern, was damit gemeint ist: Eine Erziehungsagentur, die über die Qualität der Medien und ihre – mag sein – besserungswürdigen Sitten wacht? Ein quasi- staatliches Lenkungsorgan, das eine möglicherweise aus dem Ruder gelaufene Organisation von Fernsehen und Rundfunk zu einer effektiven Einheit verbindet? Oder doch so etwas wie ein Ministerium zur regierungsinspirierten Steuerung erst der veröffentlichten, dann der öffentlichen Meinung?

Das alles steckt zumindest potenziell in der neuen Einrichtung, und alle Versicherungen, etwa an Zensur sei nicht gedacht, können daran nichts ändern. Die Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament, mit der Orban und seine Fidesz-Partei zusammen mit einer winzigen christlich-demokratischen Volkspartei die Verfassung für diese Medienregelung aufgesprengt hat, besitzt ihre eigene Verführung. Sie ist offen für den Weg in ein autoritär umgebautes Staatswesen, in Orbáns Formulierung: ein Gemeinwesen, das von einem „nationalen politischen Zentrum“ aus regiert und strukturiert wird. Und Orban hat bisher nicht zu erkennen gegeben, dass er vor dem Gebrauch dieser Macht zurückschreckt. Das neue Medienrecht ist nur die letzte Bestätigung dafür.

Kann, muss Europa da unbewegt zusehen? Natürlich stellt sich sogleich die Erinnerungen ein an die europäischen Sanktionen gegen die Regierungsbeteiligung von Jörg Haider in Österreich. Sehr ermutigend ist sie nicht, im Gegenteil. Doch der Vorgang ist so gravierend, dass zumindest das europäische Parlament darauf dringen muss, dass Orban Stellung nimmt. Wenn Europa eine Wertegemeinschaft ist, wie alle immer wieder betonen, dann muss er den Europäern erklären, wie das neue Medienrecht mit dem Wert der Meinungsfreiheit zu vereinbaren ist.

Die Erläuterungen, die die ungarische Botschaft versandt hat, sind nicht sehr überzeugend. Das Gesetz habe ein Gesetz von 1986 verändern müssen, worüber bisher kein Konsens erzielt werden konnte. Gab es seither nicht eine Revolution, die eine neue Ordnung setzte? Überdies habe die neue Institution keine „kategorische Abqualifizierung“ verdient. Sie werde „durch eine niveauvolle Arbeit die Vorurteile widerlegen“. Ein Wort, bestimmt für Gottes Ohr – des „Gottes der Magyaren“, der im Nationallied des Dichters Petöfi als oberste Instanz angerufen wird.

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