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Meinung: Unterm hohen C

Die Union verliert die Werte – das belegt auch die zweite Welle der Seehofer-Bigotterie

Für alle, die länger nicht mehr beim Friseur waren, hier auf die Schnelle das neueste Psychogramm von Horst Seehofer, Bundeslandwirtschaftsminister mit offenkundig stabilem Hallodri-Potenzial und schon deshalb womöglich rapide sinkenden Chancen auf den CSU-Vorsitz; angefertigt von Christine Hildegard S., dankbar aufgegriffen und abgedruckt von der Illustrierten „Bunte“, die in ihrer Dankbarkeit dabei aber längst nicht mehr alleine ist.

Nun, Christine Hildegard ist qualifiziert für solche Sachen, schließlich war sie mit Horst verheiratet, acht Jahr lang, bis 1982 dann alles in die Brüche ging. Sie sagt, wohlig bedeckt vom Halbschatten der Anonymität: „Der Horst war nie sonderlich ehrlich … Er hat nie ehrlich mit mir geredet, weder über politische Pläne noch über private Probleme. Ich ahnte ja längst, dass es eine andere Frau gab. Aber auf Fragen bekam ich nie Antworten.“

Ist nun aber mal gut? Nein, offenbar noch längst nicht. Eine zweite Welle der Bigotterie geht gerade übers Land, und sie ist heftiger noch als jene erste, da sich die taktischen Naserümpfer mit hinterfotziger Empörung über jene Herz- Schmerz-Anekdoten beugen konnten, die sie, weil ja Privatsache, vorgeblich nie wieder lesen wollten. Nun nämlich kommen die ersten aus der Deckung, peu à peu, und können endlich befreit ihren eigenen Interessen nachgehen. Und die Empörung, gespielt oder nicht, gewinnt an Wucht. Doch nur vordergründig trifft diese Welle der Bigotterie einen ehrgeizigen CSU-Vize, der seine Sonntagsreden im Alltag etwas, nun ja, eigenwillig ergänzt hat. Blöd halt, dass es rausgekommen ist.

Nein, die Welle trifft im Kern dann doch eine um Selbstvergewisserung ringende Christlich Soziale Union, unsicher geworden über die Frage, inwieweit das vor sich herzutragende hohe „C“ womöglich ein wenig zu beschwerlich geworden ist, als dass es als Gebrauchsanweisung für sämtliche Dinge des täglichen Bedarfs herhalten könnte, für die Familienpolitik im Besonderen.

Dabei ist die Frage gut, sie sich gelegentlich zu stellen, kann kein Fehler sein für eine wertkonservative Partei, sie müsste bloß lauten: Wie moralisch ist die Politik? Anpassungen an die Moderne – durchaus erwünscht.

Nur, die Frage wird gerade gewendet im sinister geführten blau-weißen Machtpoker. In den Hinterzimmern interessiert gegenwärtig weit mehr: Wie politisieren wir die Moral? Möglichst doppelbödig, lautet die Antwort. Eine Grauzone ist so entstanden, zusätzlich schattiert von einem über seine Bistumsgrenzen in Köln eifernden Kardinal Joachim Meisner, der im Süden der Republik das Abendland untergehen sieht, sollte Horst Seehofer den CSU- Vorsitz übernehmen können. Keine Petitesse das, der Klerus schwingt den Taktstock.

Es ist ein veritabler Schlamassel, in den sich die CSU da hineinmanövriert hat: Die interne Machtfrage wird als Wertedebatte geführt, doch das Wertefundament ist für diese Debatte längst nicht mehr stabil genug, es ist ausgehöhlt. Der „Fall Seehofer“ nimmt der CSU das bajuwarisch Augenzwinkernde, mit dem in der Vergangenheit noch so mancher moralische Spagat gemeistert werden konnte. Günther Beckstein, Ministerpräsident in spe, wird sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sein launiger Verweis in der eigenen Partei noch gut ankommen wird, dass gelegentlich auch auf Kirchenseite in amourösen Dingen, na ja …

Christine Hildegard S. hat, nach allem was man so lesen kann, Horst Seehofer nicht verändert. Der „Fall Horst Seehofer“ aber wird die CSU verändern. Schafft er es an die Spitze, wird die Partei ihre Prinzipienfestigkeit in vielerlei Hinsicht auf den Prüfstand stellen müssen. Schafft er es nicht, dann auch. Nur dass diese dann nicht mehr für Seehofer gilt, sondern für alle die, die nach ihm kommen. Bigotterie gibt’s genug.

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