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Meinung: Unternehmensberater als Geschichtslehrer

Die Staatsreform muss auf alte Identitäten setzen

Es gehört zu den Behauptungen, die durch immerwährendes Wiederholen nicht richtiger werden, das angebliche Gesetz, wonach größere Einheiten wirkungsvoller sind als kleinere. Noch ist die Föderalismusreform nicht unter Dach und Fach, noch wehren sich Bildungssachverständige und Wissenschaftslobbyisten gegen die kulturpolitische Allzuständigkeit der Länder, da machen neue Vorschläge ahistorischer Länderzusammenschlüsse die Runde.

Als ob man die geschichtliche Teilung in die ernestinische und die albertinische Linie, in Thüringen und Sachsen so einfach mir nichts dir nichts aufheben und künftig Erfurt von Dresden aus regieren könnte. Sachsen ist das seit 1815 unveränderte Dreieck Leipzig, Dresden, Chemnitz und eben nicht Jena und schon gar nicht Magdeburg, das als „Beutepreußen“ im Verein mit Brandenburg viel mehr Sinn machte. Es ist zwar richtig, dass das Saarland flächenmäßig nicht mehr als ein bayerischer Landkreis ist, aber es hat eben zweimal in der deutschen Geschichte Geschichte gemacht, im Guten wie im Schlechten.

Zu den unausrottbaren Vorurteilen aller Globalisierer und Reformer gehört das Credo, dass der europäische Nationalstaat schon zu klein und Europa das Ziel ist, dass der deutsche Föderalismus aber reines Mittelalter darstellt und bestenfalls als Heimatfolklore taugt. Dabei muss man nur einmal die oberschwäbische Barockstraße entlangfahren, um das Gegenteil zu begreifen. In allen Geschichtsbüchern gilt die Säkularisierung von 1803 als überfällige Reform, als sinnvoller Schritt zu größeren Einheiten. Dabei gibt es kaum eine ehemalige Reichsabtei, die nicht 50 Jahre und länger als Pferdestall, Kaserne oder Ähnliches missbraucht wurde und vom fernen München oder von den entschädigten neuen weltlichen Herren erst einmal dem Verfall überlassen wurde. Was bei dieser „Reform“ an Kulturgut vernichtet wurde, konnte erst nach langer Zeit, manchmal auch gar nicht mehr, rückgängig gemacht werden, denn die neuen Herren waren weit – so weit wie Berlin, wenn es über schulische und kulturelle Dinge in den Ländern befindet. Es ist eben nicht so, wie es gern karikiert wird: Vater versetzt, Sohn sitzen geblieben, sondern eher gilt, Vater versetzt, Sohn erhält endlich die Chance, ein bayerisches Gymnasium zu besuchen.

In der Reichsabtei Ochsenhausen oder dem mittelalterlichen Rothenburg bildeten ein paar tausend Seelen den Staat und waren doch wirtschaftlich erfolgreich, ein Zusammenschluss von Brandenburg, Mecklenburg und Berlin, der noch immer unhistorisch wäre, hätte ein paar Millionen Einwohner und dennoch Schulden. Nicht Größe an sich ist die Lösung, sondern dass zusammenwächst, was zusammengehört – geschichtlich, kulturell und wirtschaftlich –, und die neue Einheit damit mehr ist als die Summe ihrer Teile. Doch eine solche Föderalismusreform überfordert wohl die Möglichkeiten eines Landes, das seine Geschichte nach der Urkatastrophe des „Dritten Reiches“ bei Unternehmensberatern abgegeben hat.

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