zum Hauptinhalt
Kinder aus Seitensprüngen sind keine Seltenheit. Die Klärung der leiblichen Vaterschaft vor alle anderen Fragen zu stellen – damit macht man es sich zu leicht, findet Tissy Bruns.

© dpa

Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Männerrecht darf nicht vor Kindeswohl gehen

Ein Urteil aus Straßburg will "mutmaßliche" Väter stärken, schwächt aber die Familie. Denn Konflikte um Liebe und Verrat können weder Gerichte noch Labors aus der Welt schaffen.

Der Europäische Gerichtshof hat nicht zum ersten Mal deutsche Urteile zum Vaterrecht moniert. Aus gutem Grund, denn unsere Gerichte geben Müttern zu leicht recht. Das Argument, das Kindeswohl sei gefährdet, wenn das Kind in einen Dauerkonflikt zwischen den Eltern gerät, wiegt zugunsten der Mütter, bei denen die Kinder leben – und zulasten von Vätern, deren Beziehungen zu Töchtern und Söhnen oft willkürlich beendet werden. Die europäische Rechtsprechung hat dazu beigetragen, dass die Rechte der Väter, auch der nicht ehelichen, ernster genommen werden. Das liegt im Kindeswohl.

Diesen Maßstab hat das jüngste Urteil des Straßburger Gerichtshofs wieder angelegt – und verfehlt. Deutschland muss einem Kläger 5000 Euro zahlen, der vor deutschen Gerichten damit gescheitert war, seine Vaterschaft an einem siebenjährigen Jungen feststellen zu lassen. Das Kind lebt in einer ehelichen Familie mit Vater, Mutter, Schwester. Die Mutter, die mit dem Kläger eine Beziehung hatte, als sie schwanger wurde, war später zu ihrem Ehemann zurückgekehrt und hatte im Verfahren geltend gemacht, auch dieser könne der leibliche Vater des Jungen sein. Das deutsche Gericht habe eine konkrete Klärung versäumt, so die Straßburger Richter, ob ein Umgang mit dem Kläger nicht im Interesse des Kindes läge. Zwischen dem „mutmaßlichen“ Vater und dem Kind besteht, warum auch immer, kein Kontakt.

„Urteil aus Straßburg stärkt Rechte leiblicher Väter“ lautet der durchweg positive Tenor der Meldungen über den Richterspruch. Das erstaunt allein deshalb, weil ja niemand weiß, ob der Kläger wirklich der leibliche Vater dieses Kindes ist. Doch in fast allen Berichten ist er der „mutmaßliche“ Vater, während der eheliche Vater sprachlich zum bloß „rechtlichen“ herabgesetzt wird. Schon das ist eigentümlich, denn das ist keine kleine Rolle; sie verpflichtet. In diesem Fall ist der rechtliche außerdem unstrittig der soziale Vater, der – wie die Mutter – ein legales und legitimes Interesse am Schutz einer Familie haben muss, in der zwei Kinder leben.

Man(n) macht es sich verdammt leicht, wenn man in solchen Fällen vor alle anderen Fragen die Klärung der leiblichen Vaterschaft stellt. Die Justizministerin denkt bereits über Familienrechtsänderungen nach, die dem Urteil folgen müssten. Das deutsche Familienrecht sei unzeitgemäß, findet Dietmar Wiebel vom „Väteraufbruch“: „Heute ist es doch keine Schande mehr für ein Kind, wenn es einem Seitensprung entstammt, es gibt doch auch Trennungskinder zuhauf.“ Eine Schande ist es nicht mehr. Doch wer wollte leugnen, dass Familienkonflikte tausendfachen kindlichen Seelenkummer verursachen.

Es ist eine lebensfremde Illusion, dass neue technische Möglichkeiten uralte Konflikte zweifelsfrei klären können. Die biologische Vaterschaft ist heute schnell zu ermitteln, auf legalem und illegalem Weg. Aber von außen aufgezwungene Wahrheiten können auch im 21. Jahrhundert in den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern mehr Unheil stiften als Nutzen. „Kuckuckskinder“, Trennung, Ehebruch? Alles erlaubt, aber nicht schmerzlos. Im vorliegenden Fall wäre es doch nicht unangemessen, wenn die Eltern entscheiden können, ob und wie ihr Kind mit einem Dreiecksdrama vergangener Jahre konfrontiert wird. Die Konflikte um Liebe und Verrat können weder Gerichte noch Labors aus der Welt schaffen. Und Erwachsene sollten nicht ermuntert werden, sie Kindern nachträglich aufzulasten – manchmal muss die Wahrheit warten, bis sie erwachsen sind.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false