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Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Eine schallende Ohrfeige für den Gesetzgeber

Karlsruhe hat die Vorratsdatenspeicherung gekippt, um die Politik zum Nachdenken zu erziehen. Mehr kann das Bundesverfassungsgericht nicht leisten.

Für die Kläger war es, als säße in der roten Robe nicht Jürgen Papier, Vorsitzender Richter des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, sondern der Weihnachtsmann: Alles, was sie gehofft und sich gewünscht hatten, trat ein – die Vorratsdatenspeicherung, wie sie seit 2008 in Deutschland existiert hat, gibt es nicht mehr. "Verfassungswidrig", "nichtig", "unverzüglich zu löschen", das waren die entscheidenden Worte Papiers.

Keine höheren Hürden für die bisherige Praxis also, keine Anpassung der bestehenden Regeln, sondern es war die schärfste Sanktion, die das Bundesverfassungsgericht zur Verfügung hat. Und damit auch die härteste Kritik am Gesetzgeber, derer die Richter fähig sind.

Insgesamt 35.000 Menschen hatten gegen das "Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG" geklagt, so viele wie nie zuvor beim Bundesverfassungsgericht. Menschen, die finden, dass die damalige Bundesregierung aus Union und SPD viel zu weit gegangen ist in dem Bemühen, Täter zu verfolgen und Straftaten zu verhindern; die finden, dass in diesem Bemühen die Unschuldsvermutung gelten muss und nicht alle Menschen unter Generalverdacht stehen dürfen.

Im ersten Punkt bekamen sie nun von Karlsruhe Recht, im zweiten jedoch nicht. Heißt es doch in der Urteilsbegründung, eine Speicherungspflicht sei "in dem vorgesehenen Umfang nicht von vornherein schlechthin verfassungswidrig".

Hintergrund hierfür ist der Ursprung des Gesetzes. War es doch der Versuch, eine für alle europäischen Staaten bindende Richtlinie umzusetzen, die grundsätzlich eine solche Speicherung fordert. Diese Richtlinie zieht das Bundesverfassungsgericht nicht in Zweifel. Im Urteil heißt es: "Das Grundgesetz verbietet eine solche Speicherung nicht unter allen Umständen."

Damit bleibt vor allem ein Tritt in den Hintern des deutschen Gesetzgebers, seine Arbeit ordentlich zu machen. Denn der hierzulande beschrittene Weg, diese Vorgabe umzusetzen, war nach Ansicht der Richter Murks — oder in ihrer Sprache "die konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung ist nicht verfassungsgemäß". Vor allem, weil sie zu weit ging und bei den Zugriffsrechten auf die Daten jedes Maß verlor.

Immerhin handele es sich bei dieser Speicherung "um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt". Mit diesem Satz bestätigt das Gericht, was die Kläger immer beschworen, was die Bundesregierung bislang jedoch abstritt: Dass sich nämlich aus den Vorratsdaten so genaue Rückschlüsse auf private Belange schließen lassen, dass mit ihnen jeder Bürger praktisch nackt gemacht werden kann.

Das Gericht bestätigte darüber hinaus auch eine Gefahr, auf die die Kritiker immer wieder hingewiesen hatten: Weil dies auch noch unbemerkt geschehe, sei das Verfahren dazu geeignet, "ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann".

Was das alles nun bedeutet? Es darf gespeichert werden, auch wie bisher für sechs Monate, wie die Richter klar sagten. Es soll sogar wie bisher bei den Anbietern der Telekommunikation gespeichert werden, nicht beim Staat, damit keine Überwachungsbehörde entstehen kann. Doch wenn es um die Nutzung dieser Daten gehe, brauche es "besondere verfassungsrechtliche Anforderungen", was die Datensicherheit, die Grenzen des Zugriffs, die Transparenz desselben und den Rechtsschutz der Betroffenen angeht.

Theoretisch hätten diese Forderungen auch durch eine Änderung des bestehenden Gesetzes umgesetzt werden können. Jedoch scheint es, als wollten die Richter den üblichen Reflex der Politik verhindern, ein solches Urteil sofort als Bestätigung des eigenen Handelns zu verkaufen und nur ein wenig Kosmetik vorzunehmen. Geschehen ist das oft genug, sei es beim Großen Lauschangriff, bei der Onlinedurchsuchung oder auch schon bei der Vorratsdatenspeicherung. Es ging, so scheint es, um eine Erziehungsmaßnahme: Denkt bitte noch einmal grundsätzlich darüber nach, was Ihr da tut!

Mehr kann das Bundesverfassungsgericht nicht leisten, ein neues Gesetz kann und darf es nicht schreiben. Das müssen die Bürger tun, in Person ihrer dafür von ihnen gewählten Vertreter, dem Parlament.

Quelle: ZEIT ONLINE

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