zum Hauptinhalt

Meinung: US-Gegenschlag: Was heißt hier kühler Verstand

Wir wissen nicht, ob diese Zeilen nach Redaktionsschluss noch der Wirklichkeit standhalten werden. Wir wissen nicht, ob der Versuch, die bedrückende Atmosphäre nach dem Anschlag vom 11.

Wir wissen nicht, ob diese Zeilen nach Redaktionsschluss noch der Wirklichkeit standhalten werden. Wir wissen nicht, ob der Versuch, die bedrückende Atmosphäre nach dem Anschlag vom 11. September zu deuten, nicht schon in wenigen Stunden durch die Eilmeldung überholt wird, dass die USA ihren Gegenschlag begonnen haben. Sicher aber ist, dass sich die Menschen in Deutschland nach den ersten Tagen der Trauer ganz besonders vor dieser Reaktion auf den Terror fürchten.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Umfrage: Haben Sie Angst vor den Folgen des Attentats? Fotos: Die Ereignisse seit dem 11. September in Bildern Fahndung: Der Stand der Ermittlungen Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Gerade weil so viel Angst unter Kontrolle gehalten werden muss, ist wahrscheinlich der Appell der Politiker so laut, man solle bitte bei aller Aufregung einen kühlen Verstand behalten. Sie drücken damit wohl auch die Hoffnung auf Mäßigung aus: Dass der Gegenschlag nicht so massiv ausfallen, dass Deutschland weitgehend verschont bleiben möge, dass am Ende vielleicht der Konflikt und seine Folgen begrenzt bleiben. Aber den Deutschen ist die Angst nur schwer zu nehmen: Nach einer Umfrage der Zeitschrift "Die Woche" glauben 53 Prozent sogar, dass eine militärische Auseinandersetzung in einen Dritten Weltkrieg führen könnte. Das kann man als typisch (neu)deutsche Angst vor der Realität, als Unfähigkeit zum Konflikt, als notorische Hysterie belächeln. Es ändert nur wenig an den Ängsten, die man bekanntlich nicht zensieren, wohl aber erklären kann. Und ein Teil der Angst ist voll und ganz berechtigt.

Es ist nicht nur das Wissen darum, dass es keinen Krieg ohne schreckliches Unrecht gibt - so berechtigt auch der Anlass und so zielgenau die Angriffe sein mögen. Es ist vor allem der Mangel an Gewissheiten, der die Öffentlichkeit verunsichert. Niemand kann ausschließen, dass Selbstmordkommandos künftig an jedem anderen Ort zuschlagen werden. Wir wissen kaum etwas über das Kalkül der Täter, die brutal und fanatisch sind, aber alles andere als verrückt. Womöglich wird sogar der erwartete Gegenschlag von ihnen gewünscht, um möglichst viele noch gemäßigte arabische Staaten zu destabilisieren und eine fundamentalistische Phalanx von Marokko bis Pakistan zu errichten.

Wir wissen schließlich nicht einmal, mit welcher Aufgabe und zu welchen Zielen unsere Soldaten aufbrechen sollen. Denn das Wenige, was über Täter und Hintermänner bekannt geworden ist, bleibt wohl das Geheimnis der US-Militärstäbe. Wer aber - zu Recht - fordert, dass der Bündnispartner Deutschland erfahren sollte, gegen wen genau er zu Felde ziehen soll, der darf nicht Nachrichtendienste und Bundeswehr so beschneiden, dass eigene Feindaufklärung nur schwer betrieben werden kann. So wachsen auf amerikanischer Seite mit jedem Tag des Wartens die Wut und Entschlossenheit, auf der Seite der Deutschen Misstrauen und Bedenken.

Dies sind bange Stunden des Wartens. Warten auf den Krieg. Diese Situation weckt allmählich auch Ressentiments, die viele spätestens nach dem Golfkrieg überwunden geglaubt hatten. Da ist der wahnwitzige Topos von den Amerikanern, die ein wenig selbst schuld daran seien, wenn sie so viel Hass auf sich ziehen. Da ist der Versuch, den islamischen Fundamentalismus monokausal zu erklären - als ob die Abschaffung eines bestimmten Missstandes alleine den Terrorismus von der Welt tilgen könnte. Da ist der im Grundsatz verständliche, aber gegenüber den Opfern anmaßende Wunsch, man möge der einen furchtbaren Gewalt nicht einfach eine andere entgegensetzen. Als ob irgendjemand den Beweis liefern könnte, dass der Verzicht auf den Gegenschlag die Feinde Amerikas zur Umkehr bewegen würde.

Zur Zähmung dieser Irrungen und Wirrungen wünschte man sich tatsächlich den Einsatz kühlen Verstandes. Aber die Politiker müssen mehr anführen als das Argument der Bündnissolidarität, um die Bürger zu überzeugen. Denn es gibt weder heilige noch gute, es gibt höchstens gut begründete Kriege.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false