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Meinung: US-Klimapolitik: Kyoto liegt in Baden-Württemberg

Lieber ein bisschen Pfeifen im Wald als überhaupt keine Musik. Die Ankündigung von George W.

Lieber ein bisschen Pfeifen im Wald als überhaupt keine Musik. Die Ankündigung von George W. Bush, die Klimavereinbarung von Kyoto für tot zu erklären, hat einen Schock ausgelöst, gegen den alle Beschwichtigungen und Kanzlerworte wenig ausrichten können. Die Idee, Kyoto zu retten, indem man den Vertrag nun eben ohne die Amerikaner ratifiziert, wirkt dabei fast verzweifelt. Immerhin haben die ökologisch nicht sonderlich begabten Russen sich auf das Abkommen nur eingelassen, weil sie gehofft haben, beim so genannten Emissionenhandel ein schönes Geschäft machen zu können. Und zwar mit den Amerikanern. Die Chinesen betrachten sich ohnehin als Entwicklungsland und lassen über Begrenzungen nicht mit sich reden. Ein Kyoto ohne Amerikaner bedeutet also: ein Vertrag der Europäer mit sich selbst.

Zum Thema Rückblick: Der gescheiterte Klimagipfel in Den Haag Ob Gerhard Schröder das alles bedacht hat, als er in Washington Bushs Klimapolitik kritisierte und seine eigene Entschlossenheit bekundete, weiter an der Verringerung von Treibhausgasen zu arbeiten? Zumindest letzteres kann man eindeutig beantworten: mit nein. Denn während Schröder in Washington den Klimakanzler gab, wies er daheim seinen Koalitionspartner an, die Ökosteuerpläne für das Jahr 2003 wieder einzustampfen. Und der tat es.

Fritz Kuhn sagte vor den Wahlen in Baden-Württemberg, die Ökosteuer müsse weiter erhöht werden. Das hat, vorsichtig gesagt, die Wahlniederlage seiner Partei nicht verhindert. Dann meinte der grüne Parteichef, man brauche die Steuer nicht zu erhöhen, stattdessen könne man die Ausnahmen verringern, wie es sie für Industrie und Kohle gibt. Gestern nun ging Kuhn noch weiter und meinte, es genüge unter Umständen, wenn alternative Energien von der Ökosteuer ausgenommen würden. Kurzum, die Ökosteuer wird ab 2003 nicht erhöht, eher verringert.

Werner Müller, der von der SPD gestellte Wirtschaftsminister, setzte am Wochenende noch eins drauf und stellte klimapolitische Alleingänge der Deutschen grundsätzlich in Frage. Auch bezweifelte Müller, dass allzu ambitionierte Klimaziele noch erreicht werden können, ja, dass man sie überhaupt noch angestreben sollte. Seine Begründung: Das Wirtschaftswachstum sei in den nächsten Jahren höher als erwartet, mithin auch der Verbrauch.

Wenn man das alles ernst nimmt - man sollte es zumindest so ernst nehmen wie die wohlfeilen Äußerungen unseres Bio-Klima-Gen-Auto-Kanzlers - dann befindet sich die Bundesregierung klimapolitisch bald auf dem gleichen Weg wie Bush: rückwärts.

Kuhn hat dabei wohl erst zu viel und dann zu wenig getan. Warum er vor den Wahlen die, wie alle anderen Steuern, unbeliebte Ökosteuer - für das Jahr 2003! - ansprach, erschließt sich jedenfalls nicht leicht. Warum er neuerdings die Erhöhung ausschließt, auch nicht. Oder hat die Regierung ein neues, vor allem populäreres Programm zur Verringerung des Kohlendioxyd-Ausstoßes aufgelegt und es nur noch nicht verraten? Wer Müllers Äußerungen liest, vermag das nicht zu hoffen. Der Wirtschaftsminister konstruiert eine klimapolitische Zwickmühle: Wenn die Wirtschaft nicht gut läuft, können wir uns nicht viele ökologische Beschränkungen leisten, um das Wachstum nicht zu bremsen. Wenn aber die Wirtschaft gut läuft, können wir auch nicht viel machen, weil mehr Wachstum eben auch mehr Verbrauch bedeute. Wann können wir dann richtig was fürs Klima tun? Genau: nie. Der Wirtschaftsminister hatte bisher keine Gelegenheit, für Deutschland bei internationalen Klimakonferenzen zu verhandeln. Deswegen musste er noch nicht erfahren, wie andere Länder die deutsche Klimapolitik sehen, die er für so einzigartig, alleingängerisch hält. Um es kurz zu sagen: Die anderen sind nicht sonderlich beeindruckt von den Deutschen, und ein paar entsprechende Argumente haben sie auch. Tatsächlich.

Müller ist klimapolitisch unerfahren, aber gewiss nicht stupid. Er persönlich hat auch eine Lösung, wie man die Ökosteuer senken und trotzdem etwas fürs Klima tun kann: mehr Atomkraft! Das stimmt gut mit den Tendenzen in der Energiewirtschaft überein, den Atomkonsens mit der Regierung nun doch nicht zu unterschreiben. Da darf man schon etwas gespannt sein, wie die frisch gorlebengeprüften Grünen das sehen.

Schröder ist ein Quartals-Ökologe. Wenn gerade BSE wütet, ist er gegen Agrarfabriken. Wenn eine bisschen USA-Kritik von ihm erwartet wird, dann ist er halt mal Klimaschützer. Doch verdecken seine Äußerungen in beiden Fällen, dass nicht nur die USA umweltpolitisch auf der Kippe stehen. Auch die rot-grüne Bundesregierung weiß derzeit nicht, wohin sie sich auf diesem Feld wenden soll. Immerhin wird, wie es scheint, nach den Wochen der Querelen personell Kontinuität gewahrt: Jürgen Trittin bleibt Umweltminister. So wichtig nimmt die Bundesregierung ihre Umweltpolitik.

Es wären gewaltige Anstrengungen nötig, um Kyoto noch zu retten. Deutsche und Europäer müssten Vorreiter sein, damit sich andere überhaupt noch aufs Pferd setzen. Oder es wird demnächst ziemlich heiß.

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