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Meinung: US-Präsidentschaftswahl: Leitartikel: Bush oder Gore?

Manchmal hat dieser amerikanische Wahlkampf richtig Spaß gemacht. Es war immerhin der erste seit langem, in dem die richtige Kriegsstrategie gegen Hitler ein Thema war.

Manchmal hat dieser amerikanische Wahlkampf richtig Spaß gemacht. Es war immerhin der erste seit langem, in dem die richtige Kriegsstrategie gegen Hitler ein Thema war. Pat Buchanan, der am Dienstag sang- und klanglos untergehen wird, wollte damit punkten. Doch solche bizarren Noten und die Spannung des Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen Al Gore und George W. Bush lenken vom Sensationellen an diesem Duell ab: dass Gore nicht haushoch überlegen ist.

Amerika geht es gut. Gore ist der Wunschnachfolger eines Präsidenten, der immer noch sehr gute Noten bekommt und nur als Mensch, nicht als Politiker abgelehnt wird. Dazu vertritt der Vize Mainstream-Positionen, die breitere Zustimmung finden als jene Bushs. Wie kommt es bei solch idealen Startbedingungen, dass Gore nicht führt? Und warum darf Bill Clinton, der seinen Stellvertreter gerade in so arroganter wie zutreffender Manier als, nach sich selbst, "zweitbeste Wahl" anpries, in dessen Wahlkampf kaum in Erscheinung treten, obwohl 70 Prozent der US-Bürger seine Amtsführung gutheißen?

Den Wahlkampf in den USA gibt es gar nicht. Es gibt zwei parallele Welten. Da debattieren die Kandidaten über neue Ausgabenprogramme, Steuersenkungen oder das Tilgen der Altschulden. Grundlage ist eine doppelte Täuschung. Erstens gibt es den enormen Haushaltsüberschuss (4600 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahren) noch gar nicht, der so eifrig propagiert wird. Zweitens entscheidet der Präsident überhaupt nicht, was mit Steuern, Etatposten oder Altschulden geschieht. Der Kongress schreibt die Gesetze. Der Mann im Weißen Haus kann betteln, mehr nicht.

Viele Bürger suchen im Wahlkampf ohnehin etwas anderes: die Persönlichkeit der Kandidaten. Führungskraft, Gestaltungswillen, Verlässlichkeit - dies sind die Kriterien, nach denen Amerika Clintons Nachfolger aussuchen wird. Gore ist gescheiter, Bush ist umgänglicher. So plump die Formel wirkt, so politikfern sie zu sein scheint, so sehr bestimmt sie doch die Wahrnehmung. Bush ist jener Kandidat, mit dem die meisten Amerikaner eher im Auto quer durchs Land fahren würden. Darf man nach solchen Kriterien den mächtigsten Mann der Welt auswählen?

Man darf. Wenn die Volksnähe von George W. Bush etwas ist, was die Amerikaner instinktiv begreifen, dann heißt dies ja auch, dass sie in Krisensituationen eher auf ihn hören würden - falls er dann etwas zu sagen hat. Wenn die entscheidende Messlatte also jene ist, ob ein Kandidat sein Volk erreichen und überzeugen kann, dann ist Bush fraglos im Vorteil (auch wenn er sich schwer damit tut zu sagen, wovon er die Leute eigentlich überzeugen will). Gore dagegen weiß genau, wohin er sein Land führen will - aber er findet nur wenige, die ihm folgen wollen.

Zwar spricht niemand über Monica Lewinsky, doch sehnt sich trotzdem das ganze Land nach Ehrlichkeit und Integrität. Deshalb darf Bill Clinton nur in sicheren demokratischen Hochburgen auftreten, wo er vergöttert wird. Deshalb könnte es zu der Skurrilität kommen, dass Bush wegen eines 24 Jahre zurückliegenden Trunkenheitsdelikts die Wahl doch noch verliert. Der Texaner hat, in kluger Wahrnehmung der Sehnsüchte Amerikas, Moral und Würde in den Vordergrund seines Wahlkampfes gestellt. Dies ist das Salz, das jetzt in der Alkohol-Wunde juckt. Ist Bush ehrlich, wenn er seine eigenen Jugendsünden verschweigt, aber Unnachgiebigkeit bei der Bekämpfung minderjähriger Drogenkonsumenten predigt? Wo bleibt da sein "Konservatismus mit Herz"?

Gore war ein guter Vize. Aber ohne Clinton wirkt er verloren. Jede seiner Reden beweist, wie entrückt der Mann aus Tennessee ist, wie wenig er an seinen Chef heranreicht. Dabei geht es um mehr als einen Mangel an Charme. Gore fehlt die Antenne, die Politiker erst politikfähig macht. Ruft er nun Clinton zur Hilfe, folgt flugs der Schatten der Skandale. Versucht er es auf eigene Faust, ist er sich selbst das größte Hindernis. Aus dieser Zwickmühle kommt der Demokrat nicht heraus.

Zwischen diesen beiden, deren Schwächen sichtbarer sind als ihre Stärken, werden die Amerikaner morgen entscheiden. Es wird knapp.

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