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US-Truppen im Irak: Am Abzug

Die USA gestehen sich ein, welch ein Fehler der Irakkrieg war, und suchen den Ausgang. Mit dem Einmarsch im Irak sind Pflichten verbunden – immer noch.

Ist das der Wendepunkt? Von allen Seiten strömen Kritik und Rat ein auf George W. Bush – alle mit demselben Ziel: Schluss mit der falschen Irakstrategie, mit den Parolen eines „langen Kriegs“, der den USA schwierige Zeiten des Zweifels beschere, den „die beste Armee der Welt“ am Ende aber gewinnen werde. Mehrere Faktoren summieren sich zu einer kritischen Masse. Bush, so scheint es, hat keine andere Wahl, als abzuziehen.

Die Demokraten surfen schon lange auf der Welle des Iraküberdrusses. Ihren Sieg bei der Kongresswahl 2006 hatten sie hauptsächlich dem Versprechen zu verdanken, den Krieg zu beenden. Seit deutlich wird, dass Bushs letzter Versuch – die Truppenverstärkung seit Januar – nichts bringt, rücken auch Republikaner vermehrt von ihm ab. Den Anfang machte Senator Chuck Hagel aus Nebraska, er forderte gar Bushs Impeachment wegen Irak. Es folgten der einflussreiche Vorsitzende des außenpolitischen Senatsausschusses Richard Lugar, George Voinovich (Ohio), John Warner (Virginia) und Pete Domenici (New Mexiko).

Parteiübergreifend ist die Opposition gegen den Irakkrieg. Auch geografisch überzieht sie die USA, an den demokratisch gesinnten Küsten stärker als in der konservativen Landesmitte. Die Medien trommeln ebenfalls überwiegend gegen den Krieg. 2002/03 war das umgekehrt. Von CNN bis Fox News, von Boston bis Los Angeles unterstützten fast alle den Angriff zu Saddams Sturz. Mit an der Spitze stand die „New York Times.“ Sie druckte Serien über seine angeblichen Massenvernichtungswaffen. Vor über einem Jahr hat sie sich förmlich entschuldigt. An diesem Sonntag bezog sie Position in einer Form, die sonst Wahlempfehlungen für einen Präsidentschaftskandidaten vorbehalten ist: Sie widmete ihre gesamten Kommentarspalte einem einzigen langen Aufruf. „Zeit für den Abzug!“

In dieser Lage erhalten selbst kleinere Meldungen hohe Brisanz: Der neue Verteidigungsminister Bob Gates sagt die für diese Woche geplante Reise nach Mittel- und Südamerika ab. Am Sonntag muss Bush die erste Zwischenbilanz der Truppenverstärkung vorlegen. Dafür werde Gates in Washington gebraucht. Macht Bush womöglich schon diese Woche kehrt: vom Truppenaufzug zum Abzug?

Nein. Die entscheidende Bilanz ist am 15. September fällig. Bis dahin ist Bush im Wort. Bis dahin hat er Iraks Führung und seinen Generalen Zeit gegeben, Erfolge zu produzieren. Der Präsident bestimmt in den USA die Außen- und Sicherheitspolitik. Der Kongress hat kaum Mittel, ihn zu zwingen.

Die große Einigkeit beschränkt sich zudem auf die Ablehnung des heutigen Kurses. Es gibt keine Mehrheit in der Frage, was die richtige Alternative wäre, nicht einmal unter den Demokraten. Ein Drittel ihrer Senatoren ist gegen einen raschen Abzug. Man dürfe Irak nicht sich selbst überlassen, dann werde der Bürgerkrieg blutiger oder folge gar die Teilung Iraks.

In Umfragen ist ein fluchtartiger Abzug bisher fast ebenso unpopulär wie der Krieg. Die Amerikaner wollen, dass keine US-Soldaten mehr sterben für eine verlorene Sache. Die Kämpfe gegen Terroristen und Aufständische sollen die Iraker selbst führen. „Abzug“ hieß bis jetzt nicht Komplettabzug. Sondern: Wir ziehen unsere Kampftruppen ab – rund ein Viertel der derzeit 160 000 Mann –, bleiben aber mit Zehntausenden präsent, um Schlimmeres zu verhindern. Wenn diese Wende noch lange auf sich warten lässt, wird ein Komplettabzug doch noch populär.

Organisatorisch ist es ein Albtraum. 160 000 Mann sicher heimzubringen: Das ist ein ebenso aufwendiges, monatelanges Unterfangen wie 2003 der Aufmarsch.

Die neue Opposition bei den Republikaner ist nicht zornig, bläst nicht zur Attacke auf Bush. Es sind leise, nachdenkliche Töne: Nur unter Führung des Präsidenten könne Amerika sich aus der fatalen Lage befreien, nicht gegen ihn. Man müsse Bush zur Einsicht bewegen, dass auch die Verstärkung keinen Erfolg zeige, dass die US-Präsenz generell mehr schade als nütze, dass nur noch die Iraker selbst den Bürgerkrieg beenden können.

Die „New York Times“ ist nicht die Spitze der Bewegung. Ihr Sonntagskommentar war ein Akt innerer Hygiene – der endgültige Widerruf der Kriegsunterstützung von 2002/03. Ihre Leser sind dort längst angekommen. Wer heute noch anderer Meinung ist, den erreicht das Blatt ohnehin nicht.

Diese Woche ist nicht der Wendepunkt, sondern einer in einer Abfolge. Die USA gestehen sich ein, welch ein Fehler der Irakkrieg war, und suchen den Ausgang. Das ist eine Genugtuung für die Kriegsgegner in Europa. Jubeln sollten sie nicht. Das würde Amerika zur Flucht aus der Verantwortung ermuntern. Mit dem Einmarsch hat es Pflichten übernommen, die es nicht so einfach los wird. Für die Iraker hieße ein überstürzter Komplettabzug: nach uns die Sintflut. Eine blutige Flut. Die USA sollen ihre Truppen reduzieren, aber geordnet. Und einen Teil nach Afghanistan verlegen, damit jener Krieg nicht auch noch verloren geht.

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