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Meinung: US-Wahlkrimi: Demokratie beruht auf Nicht-Wissen

Zählen die Amerikaner noch? Ja, sie zählen und zählen und zählen - solange bis die letzten Unklarheiten beseitigt sind, bis hieb- und stichfest das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen feststeht.

Zählen die Amerikaner noch? Ja, sie zählen und zählen und zählen - solange bis die letzten Unklarheiten beseitigt sind, bis hieb- und stichfest das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen feststeht. Das ist einerseits verständlich, anderseits eine technische Illusion. Denn unter Umständen ist es sogar unmöglich, Millionen Stimmen - von denen ein Teil konventionell, ein anderer mit dem halbmodernen Lochkartenverfahren abgegeben wurde - von einigen Tausend Wahlhelfern, also fehlbaren Menschen, genau genug auszählen zu lassen. Jedenfalls dann, wenn der Abstand so gering ist wie bei Bush und Gore. Normalerweise wird in den hoch entwickelten, demokratischen Staaten nicht jedes Wahlergebnis nachgezählt. Doch weicht das gezählte Ergebnis wahrscheinlich auch bei uns in Deutschland oft um mehrere Tausend oder Zehntausend Stimmen von den real abgegebenen Stimmen ab. Nur wirkt sich diese Ungenauigkeit selten aus - und wenn doch, dann wissen wir es nicht. Die allgemeine Akzeptanz des Ergebnisses beruht auf dem Vertrauen, dass so genau wie möglich geprüft wird - und dass Fehler sich irgendwie ausgleichen. Demokratische Legitimation entsteht also nicht aus Präzision, sondern aus Großzügigkeit, dadurch, dass man am Ende nicht zu genau hinguckt. Darin besteht nun das Problem der Amerikaner. Nicht: Wie bekommen wir das wahre Ergebnis, sondern: Wie bekommen wir ein Ergebnis, das alle für wahr halten oder als wahr hinnehmen. Demokratie ist eben wie das Leben: eine Vertrauensfrage.

bul

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