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USA im Wahlkampf: Amerika blockiert sich

Der US-Präsident ist auf Wahlkampf-Tour quer durch die USA. Verzweifelt versucht er, die erwartete Niederlage bei der Kongresswahl Anfang November in Grenzen zu halten.

In Wisconsin war jetzt noch einmal die Euphorie der Präsidentschaftskampagne zu spüren. 25 000 Studenten jubelten Barack Obama zu, wie in den besten Zeiten auf dem Weg zum Wahltriumph 2008. Er verbringt in diesen Tagen mehr Zeit auf Wahlkampf quer durch die USA als im Weißen Haus – in einem verzweifelt anmutenden Versuch, die erwartete Niederlage seiner Demokratischen Partei bei der Kongresswahl am 2. November in Grenzen zu halten. Die letzte Hoffnung zielt darauf, die Gruppen zu mobilisieren, die 2008 entscheidend für seinen Sieg waren: Jungwähler, Afroamerikaner, Latinos. Die weißen Bürger, insbesondere die Älteren unter ihnen, werden mehrheitlich nicht für ihn stimmen.

Von außen betrachtet muss es scheinen, als litten die Amerikaner unter Gedächtnisverlust. Sehen sie nicht, dass Obama nur versucht umzusetzen, was er angekündigt hat und weshalb ihn die Mehrheit gewählt hat? Heute haben die Republikaner Erfolg mit einem aggressiven Wahlkampf, der diese Interpretation auf den Kopf stellt. Bei ihnen ist keine Rede mehr davon, dass die tiefe Finanzkrise unter Bush begann. Die USA haben sich noch immer nicht ganz erholt, die Arbeitslosenrate verharrt bei knapp zehn Prozent. Sie nennen es „die Obama-Rezession“. Seine Gesundheitsreform und die Verschärfung der Finanzaufsicht waren 2008 populäre Versprechen. Heute gelten sie als überzogene Eingriffe des Staates. Die Hälfte der Bürger hält es für eine schlechte Idee, die Steuererleichterungen unter Bush zu beenden und den Spitzensteuersatz für die reichsten zwei Prozent, die mehr als 250 000 Dollar im Jahr verdienen, von 33 Prozent wieder auf 36 Prozent zu erhöhen wie unter Clinton. Das entziehe der Wirtschaft Kaufkraft und Investitionen, sei also gerade jetzt Gift für die Konjunktur. In solchen Fragen ticken viele Amerikaner schlicht anders als die Deutschen.

Der polemische Streit um Obamas Bilanz kann die erwartete Niederlage aber nur zum Teil erklären. Ja, sein Ansehen ist gesunken, auf etwa 45 Prozent. Doch das erging den meisten Vorgängern ebenso. In den Umfragen, wer die besseren Ideen habe, liegen die Demokraten auf fast allen Gebieten immer noch vor den Republikanern. Wichtiger ist die „Enthusiasmus-Lücke“. Obamas Gegner sind hoch motiviert, ihre Stimme abzugeben. Seine Anhänger sind enttäuscht, viele wollen nicht zur Wahl gehen. Die unterschiedliche Beteiligung wird den Republikanern zum Sieg verhelfen. Ihr Erfolg wird die Politik aber nicht handlungsfähiger machen. Die Blockade wird sich verschärfen. Die moderate Mitte fühlt sich schon lange abgestoßen vom Kongress. Egal, wie schlecht ein Präsident dasteht, darf man darauf wetten: Die Zustimmung zum Parlament liegt noch niedriger. Obamas Versuche, seine Anhänger zu mobilisieren, bringen wenig. Sie wissen, dass er jetzt nicht zur Wahl steht.

Dies ist nicht in erster Linie eine Krise Obamas oder der Demokraten. Beide Parteien erreichen die Bürger nicht mehr. Es wird immer schwieriger, all die diversen gesellschaftlichen Gruppen unter einen programmatischen Hut zu bringen. Und weil die „normalen“ Bürger wegbleiben, erringen radikale Minderheiten wie die „Tea Party“ überproportionalen Einfluss. Der Verdruss über das Parteiensystem trägt dazu bei, dass charismatische Einzelfiguren wie Obama in Präsidentschaftswahlen solchen Erfolg haben. Doch zum Regieren brauchen auch sie eine Mehrheit im Kongress. Überzogener Populismus zieht die Bürger nicht an, sondern führt in die Selbstblockade.

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