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Meinung: Vasallentreue

„Demonstriert gegen Putin“ vom 1. September Ganz im Gegenteil: Putin sei Dank.

„Demonstriert gegen Putin“

vom 1. September

Ganz im Gegenteil: Putin sei Dank. Als Reserveoffizier der Bundeswehr fand

ich den propagandistischen Anspruch des Warschauer Paktes, das Friedenslager darzustellen, immer infam. Inzwischen bin ich froh, dass gegenüber den selbstmandatierten Weltpolizisten von der Nato überhaupt noch ein Gegengewicht vorhanden ist. Auch vor dem

Irakangriff war das Geschrei groß, die nichtwestlichen Vetomächte paralysierten den Sicherheitsrat. Dass dieser der Invasion mit anschließender blutiger

Unterdrückung jeglichen Widerstandes letztlich nicht zugestimmt hat, bewahrte der Uno zumindest ein wenig an Glaubwürdigkeit.

Der Westen hat den syrischen Aufstand systematisch angestachelt, indem er Assad sehr früh völlig delegitimierte und die tributpflichtigen Feudalstaaten vom Golf sowie der Nato-Partner Türkei die Rebellen aktiv unterstützten ließ. Kürzlich hat der Emir von Katar die Macht an seinen Sohn übergeben, offenbar eine reine Familienangelegenheit, die allgemein mit zustimmendem Kopfnicken zur Kenntnis genommen wurde.

Natürlich sind dynastische Machtübergaben dort wie in Saudi-Arabien, Libyen, Ägypten und auch Syrien prinzipiell nicht akzeptabel. Hier misst der Westen aber offensichtlich mit zweierlei Mass.

Viel wäre zu sagen zur kontextfreien Diabolisierung unfolgsamer Machthaber durch die westlichen Medien. Wer hat eigentlich das korrupte, ultrakapitalistische System in Russland eingeführt, das jetzt die ganze Welt mit einem Abschaum neureicher Wendeprofiteure versorgt? Der gefügige Westheld Gorbatschow, der nie auch nur ansatzweise eine öffentliche Wahl gewonnen hat, ganz im Gegensatz zum vielgescholtenen Bösewicht Putin.

Wer, wie die Nato, mehr als Zweidrittel der Weltmilitärausgaben bestreitet, Falludscha mit abgereichertem Uranium in Schutt und Asche legte und zunehmend unter militärischem Eingreifen automatisierte Bombardierungen aus unangreifbarer Ferne versteht, hat kein Recht, den Einsatz schwerer Waffen durch die syrische Armee zu kritisieren. Assad mag ein brutaler Herrscher sein, aber er ist kein Dummkopf. Der Einsatz von Chemiewaffen zu diesem Zeitpunkt macht weder taktisch noch strategisch irgendeinen Sinn, da hat Putin m. E. durchaus recht. Die Kandidatin Merkel hat verkündet, ein Militärschlag bedürfe der Mandatierung durch die Uno oder die Nato. Es geht also weiter mit der unrühmlichen Vasallentreue, die eine 50-jährige Tradition verteidigungspolitischer Zurückhaltung zugunsten von

militärisch im besten Falle irrelevanten Bündnisbeiträgen wie in Afghanistan aufgegeben hat.

Wie Oberleutnant Philip Klever überzeugend dargelegte, ist die formale Unterscheidung zwischen der Uno-gestützten ISAF und der orwellsch anmutenden OEF (Operation Enduring Freedom),

auf die das Verfassungsgericht in seinem Tornadourteil vom Juli 2007 so viel Wert legte, vor Ort völlig irrelevant. Was der politischen Öffentlichkeit hier an Rechtfertigungen zugemutet wird, ist wirklich aberwitzig.

Beginnend mit der rot-grünen Koalition wurde auch hierzulande der Unterschied zwischen Krieg und Frieden, zwischen internationalem Recht und strategischem Eigeninteresse systematisch verwischt. Leider haben dem weder die Gerichte noch die Kirchen ernsthaft Widerstand entgegengesetzt. Nur wiederholtes Scheitern mit empfindlichen Verlusten und der Widerstand der Schwellenländer kann die westliche Wertegemeinschaft offenbar von ihrem globalen Manipulations- und Interventionsanspruch abbringen. In diesem Sinne nochmals Dank an Putin, der sich offenbar im

Gegensatz zum Friedensnobelpreisträger Obama nicht von seinen Generälen zur Vernunft rufen lassen muss.

Andreas Griewank, Berlin-Altglienicke

Natürlich hat Harald Martenstein mit seiner Kritik an Putin in einigen Punkten recht. Aber wenn ein Land von langjährigen Diktaturen in die Demokratie geführt werden soll, braucht es Zeit, um Widerstände zu überwinden. Auch in Deutschland hat es 65 Jahre gedauert. Ein früheres Eingreifen gegen Assad hätte in die gleiche Situation wie heute im Irak geführt. Denn in Syrien hat es nie eine mehrheitsfähige Opposition gegeben. In Syrien findet ein Kampf zwischen Religionen, Volksgruppen und Stämmen statt: Araber gegen Turkvölker, Beduinen, Armenier, Kurden mit Religionen wie Sunniten, Schiiten, Alawiten, Wahhabiten, Maroniten, Drusen, orthodoxen Christen u. a. Leider hängt die Mehrheit dem Dschihad an und kämpft gemeinsam mit Al Qaida für die Scharia.

Die Situation ähnelt der im 30-jährigen Krieg. Man wird so lange zerstören, bis zu wenige zum Töten da sind. Ob mit amerikanisch-französischer Intervention oder nicht.

Dieter Zywicki, Speyer

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