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Eine Überwachungskamera zeigt den mutmaßlichen Todesschützen Dylann Storm Roof vor der Anhörung im Gericht in Charleston, South Carolina.

© Reuters

Vergebung für Rassisten und SS-Männer?: Keine Absolution

Dem Mörder von Charleston wird vergeben, Oskar Grönung im Gerichtssaal umarmt. Doch im Rechtsstaat hat Vergebung keinen Platz – nur Sühne. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Ein Gerichtssaal in Charleston, ein neonbeleuchteter Raum mit schmucklosen Wänden. Ein Bildschirm überträgt ein Bild von Dylann Roof aus dem Gefängnis von Charleston County, South Carolina, hinter ihm zwei schwer bewaffnete Polizisten. Es ist Freitag, der 19. Juni. Zwei Tage zuvor hatte der 21-jährige Weiße in der Emanuel Methodist Episcopal Church in Charleston während einer Bibelstunde aus rassistischen Motiven neun Menschen erschossen. An jenem Freitag wird die Anklage verlesen, sie wird live übertragen. Die Angehörigen der Opfer haben Gelegenheit, sich zu äußern. Im Fernsehen ist zu sehen, wie Nadine Collier vortritt, sie hat bei dem Angriff ihre Mutter verloren, Ethel Lance. Ihre Stimme bricht, als sie sagt: „Ich vergebe dir.“

Selbst-Befreiung vom Hass des Täters

Vergebung ist in vielerlei Hinsicht ein Triumph. Vergebung erhöht die moralische Distanz zwischen Opfer und Täter. Sie befreit das Opfer und macht es wieder zum Handelnden. „Der Hass wird nicht siegen“, sagte Alana Simmons, die Enkelin des ermordeten Daniel Simmons. Vergeben zu können ist ein Akt der Selbst-Befreiung vom Hass des Täters. Die Entscheidung über die Schuld, so will es die religiöse Vorstellung, verbleibt bei Gott. Doch auch wenn die äußere Ordnung beschädigt bleibt; für den, der vergeben hat, ist die innere Ordnung wiederhergestellt.
Die Vergebung der Angehörigen der Toten von Charleston hat in den USA viel Bewunderung hervorgerufen. Die Bilder wurden im Fernsehen und im Internet gezeigt, immer wieder. Dennoch oder gerade deshalb hat sie bei manchen auch ein gewisses Unbehagen geweckt. In der „New York Times“ schrieb die schwarze Schriftstellerin Roxane Gay: „Ich vergebe Dylann Roof nicht.“ Es gebe Taten, argumentiert Gay, die derart schrecklich seien, dass sie jenseits von Vergebung lägen. „Wir sollten sie als solche anerkennen.“ In der Begeisterung der von Weißen dominierten Medien über den Akt der Vergebung sieht Gay den Versuch, tiefe gesellschaftliche Konflikte mit einem Gefühl der Befriedung zu übertünchen. Der Wunsch der Weißen nach Vergebung sei in Wirklichkeit der Wunsch nach Absolution.

Im April ging die Auschwitz- Überlebende Eva Kor im Gerichtssaal auf den früheren SS-Mann Oskar Gröning zu, reichte ihm die Hand und sagte, sie vergebe ihm. Gröning („der Buchhalter von Auschwitz“) steht in Lüneburg vor Gericht, Kor ist eine der Nebenklägerinnen. Das Gericht prüft, ob er eine juristische Mitschuld an den Morden im Konzentrationslager trägt. Auf Kors Geste folgte in deutschen Medien eine ähnliche Reaktion wie in den USA auf die Geste der Angehörigen der Toten von Charleston. Die Medien stürzten sich auf Kor, sie trat in der Fernsehsendung „Günther Jauch“ auf. Die anderen Nebenkläger hingegen reagierten empört und warfen Kor die „öffentliche Inszenierung“ ihrer Vergebung und eine „eigenmächtige Rehabilitierung“ des Täters vor.
Kann es falsch sein, zu vergeben?

Anerkennen und Benennen eines Makels

Mit dem Aussprechen der Vergebung wird der innerliche Akt zum öffentlichen Akt. Die Vergebung wechselt gewissermaßen das Spektrum und damit auch ihr Wirkungsfeld, sie wird vom Gedanken zur Handlung, sie wechselt vom Reich des Religiösen in das Reich der Ethik. Im öffentlichen Raum läuft Vergebung tatsächlich Gefahr, missverstanden oder vereinnahmt zu werden, übersetzt zu werden in die Begriffe des Rechts und der Politik. Aus der Vergebung wird eine Ent-Schuldung.

Das kann beabsichtigt sein. Für die Gröning-Nebenklägerin war das öffentliche Aussprechen der Vergebung ein politischer Akt, sie sagte, ihr Ziel sei eine bessere Verständigung zwischen Juden und Deutschen. Nadine Collier hingegen verband damit kein politisches Anliegen, sie wollte das Ansehen ihrer Mutter ehren, eine wie sie tief religiöse Frau. Die Befreiung von der Schuld, ihr Ungeschehen-Machen, ist eine religiöse Vorstellung. Für die Gesellschaft als Ganzes funktioniert das Konzept nicht. Im Rechtsstaat hat sie keinen Platz. Gay hat recht. Nicht durch Vergebung wird gesellschaftliche Ordnung hergestellt, sondern durch die Sühne, durch das Anerkennen und Benennen eines Makels. Für die großen gesellschaftlichen Makel, für Auschwitz, für den Rassismus, kann es keine andere Linderung geben.

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