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Meinung: Viel Flügelschlag

Die Panik ist gefährlicher als die Vogelgrippe selbst

Alexander S. Kekulé Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die Vogelgrippe ist eine Krankheit der Vögel, nicht eine des Menschen. Auch wenn das Influenzavirus H5N1 noch so dramatisch nach Westen vorrückt, wird es immer nur Hühner, Truthähne und anderes Gefieder dahinraffen – jedoch so gut wie keine Menschen. Deshalb müssen sich Landwirte und sonstige Vogelhalter darum kümmern, ihre Schützlinge vor Infektionen durch Wildvögel oder illegale Importe zu schützen. Der Schaden ist jedoch zuvorderst ein wirtschaftlicher. Kein Grund zur Panik also, auch wenn wir wohl eine Weile auf die geliebten FreilandEier verzichten müssen.

Leider bezeichnen auch renommierte Presseorgane das H5N1-Virus als „gefährlich für Menschen“ und heizen so die Hysterie an. Tatsache ist, dass sich bisher knapp 120 Menschen mit H5N1 angesteckt haben, 60 davon starben. Das ist eine winzige Zahl, wenn man bedenkt, dass in Asien bis zu 100 Millionen Vögel infiziert sind und die Menschen dort mit ihren Tieren und deren Exkrementen in engem Kontakt leben. Selbst für die dürfte die Infektionsgefahr in der Nähe von eins zu einer Million liegen. Fliegen ist gefährlicher.

Trotzdem sorgt die Vogelgrippe, die bei Veterinären eigentlich den harmloser klingenden Namen „Geflügelpest“ hat, täglich für Schlagzeilen: Vergangene Woche fiel sie in der Türkei und Rumänien ein. Seit vorgestern ist sie sogar „in der EU angekommen“ – dass die zwei Kilometer vor dem türkischen Festland liegende Insel Inousses zu Griechenland und damit zur EU gehört, macht für das Virus erwartungsgemäß keinen Unterschied. Soweit sich Seuchenexperten Sorge um die Entstehung einer menschlichen Grippepandemie machen, kann ihnen das geographische Detail ebenfalls egal sein: Die Supergrippe kann überall entstehen, wo Menschen in engem Kontakt zu infiziertem Geflügel stehen. Angesichts der extrem bedrohlichen Lage in Asien kommt es auf ein paar griechische Truthähne wirklich nicht mehr an.

Zunächst hat die allgemeine Aufregung immerhin bewirkt, dass das Thema Pandemie-Planung – nach jahrelangen Appellen der Fachleute – in der Politik angekommen ist. Mit mehr oder weniger großem Tempo arbeiten die Länder an Gegenmaßnahmen. Wenn die Pandemie in zwei Jahren oder später kommt, werden die meisten von ihnen wohl ganz gut darauf vorbereitet sein.

Jedoch ist die irrationale Angst vor der Geflügelpest inzwischen dabei, eine größere Gefahr als die Tierseuche selbst zu werden. Tausende Touristen haben ihre Reisen nach Rumänien abgesagt, der Schaden soll in die Millionen gehen. Aus Angst vor der Vogelgrippe lassen sich viele Deutsche gegen Grippe impfen, was ebenfalls unsinnig ist: Die Influenza-Schutzimpfung schützt zwar gegen die normale „saisonale“ Grippewelle, jedoch nicht gegen die Vogelgrippe oder ein ventuell aus dieser entstehendes, menschliches Pandemievirus. Jetzt droht der Impfstoff knapp zu werden für die, die ihn dringend brauchen: Menschen über 60 Jahre, chronisch Kranke, Immungeschwächte, Kinder mit Asthma und medizinisches Personal. Die normale Grippewelle tötet in Deutschland pro Jahr rund 10000 Menschen, die meisten aus den Risikogruppen. Wenn der Impfstoff vorzeitig verbraucht ist, fordert die Hysterie in Deutschland mehr Opfer als die Vogelgrippe weltweit.

Auch bei den Grippemitteln Tamiflu und Relenza kann die Panik zum Problem werden. Wenn eine große Zahl von Gesunden diese Mittel zur Prophylaxe einnimmt, können Influenzaviren resistent werden. Falls die gefürchtete Pandemie dann eines Tages wirklich kommt, wäre die einzige Waffe der Ärzte stumpf geworden. Vergangenen Freitag publizierten Wissenschaftler aus Vietnam erstmals einen solchen Fall: Sie isolierten bei einer 14-Jährigen ein H5N1-Virus, das vollständig resistent gegen Tamiflu war – das Mädchen hatte das Mittel ganze vier Tage lang zur Prophylaxe eingenommen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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