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Meinung: Viel Qualm um wenig

Für ein Rauchverbot spricht einiges – die Krebstoten nicht

Alexander S. Kekulé Anfang der Woche donnerte es mal wieder durch den Pressewald: Passivrauchen ist lebensgefährlich, Deutschland braucht endlich ein Rauchverbot für Lokale und öffentliche Einrichtungen. Die Nachricht ist nicht wirklich neu. Erstaunlich ist aber, wer sich da an die Spitze der Bewegung gesetzt hat: Hinter dem breiten Tisch der Bundespressekonferenz sprachen diesmal keine Politiker, Verbraucherschützer oder Funktionäre, sondern Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg.

Gesundheitspolitisch haben die Krebsforscher recht. Verbraucherschutzminister Seehofer will zwar das Rauchen in Restaurants verbieten, in Diskotheken und Bars darf jedoch weiterhin bis zur Übelkeitsgrenze gepafft werden. Die Bahn hat immerhin ihre bislang widerwärtig verqualmten Bistros zur Nichtraucherzone erklärt. Dafür hält sie an den stinkenden Raucherabteilen fest – dort leiden weiterhin Nichtraucher und Kinder still vor sich hin, wenn anderswo nichts mehr frei ist.

Rauchen in Gaststätten gilt in immer mehr Staaten als unzumutbar. Verbote gibt es unter anderem in Irland, Italien, Norwegen, Schweden, Schottland sowie vielen Bundesstaaten der USA und Australiens. Im kommenden Jahr wollen Großbritannien, Finnland und Belgien ebenfalls ihre Gastronomien qualmfrei machen. Dann wird Deutschland eines der letzten Raucherparadiese sein.

Wissenschaftlich gesehen hat das DKFZ jedoch – leider – nichts Neues zur Debatte beigetragen. Anlass der Pressekonferenz war eine bereits vor einem Jahr durchgeführte Messung der Feinstaub-Konzentrationen in 100 deutschen Gastronomiebetrieben und Bahnabteilen. Da Feinstaub an solchen Orten hauptsächlich von Zigaretten stammt, korreliert dessen Konzentration mit der Anzahl der verglimmten Zigaretten. Erwartungsgemäß sind die Werte in Nichtraucherlokalen am niedrigsten, in verqualmten Gaststätten deutlich erhöht und in Diskotheken am höchsten. Ähnliche Untersuchungen liegen bereits aus anderen Ländern vor. Überdies war die Fehlerbreite der Messwerte sehr hoch.

Davon abgesehen zitiert das DKFZ im Wesentlichen aus dem im Juni veröffentlichten Passivraucher-Bericht des US-Gesundheitsministeriums, freilich in verkürzter Form. So gilt das „20 bis 30 Prozent erhöhte Risiko für Lungenkrebs“ nur für Erwachsene, die über viele Jahre intensivem Passivrauchen ausgesetzt waren – etwa durch rauchende Lebenspartner oder verqualmte Arbeitsplätze. Bei den geschätzten 3300 jährlichen Passivrauchopfern in Deutschland rechnete das DKFZ einige hundert Schlaganfallopfer mit – für die laut US-Bericht jedoch der kausale Zusammenhang mit dem Passivrauchen nicht erwiesen ist. Im US-Bericht offen diskutierte Ungereimtheiten fehlen: So befinden sich nach gegenwärtigem Wissensstand die Hauptkrebsauslöser im Kondensat des Zigarettenrauchs, das beim Passivrauchen kaum inhaliert wird. Warum in Deutschland nach grober Schätzung jährlich etwa 260 Passivraucher an Lungenkrebs sterben, ist wissenschaftlich ungeklärt.

Damit ist der Ball im Feld der Politik. Die Gesellschaft und nicht die Krebsforscher müssen entscheiden, ob es ein Rauchverbot in Gaststätten und öffentlichen Gebäuden geben soll. Das stärkste Argument hierfür sind nicht die vermutlichen Krebstoten. Doch es gibt genug andere Gründe: Kinder werden chronisch geschädigt, Erwachsene belästigt, Jugendliche zum Rauchen verführt. Dass sich die Krebsforscher vom DKFZ darum kümmern müssen, ist beschämend für die Politik.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Molekulare Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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