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Meinung: Vielfalt steuern

Warum Angela Merkel zu Recht gegen europäische Mindeststeuern ist

Viel und oft wird darüber geklagt, Europa erreiche die Herzen der Menschen nicht mehr. Zugleich rühren – sozusagen im Gegenzug – immer häufiger europäische Themen an Urängste der Bürger und wecken niedere Instinkte, wie Neid und Egoismus. Die Debatte über einen EU-Beitritt der Türkei ist ein Beispiel dafür.

Die Aufnahme der ost- und mitteleuropäischen Staaten berührt das allerdings nicht mehr, zum Glück konnten Stimmungen der Angst, der Ausgrenzung, des Chauvinismus in der Diskussion um ihren Beitritt keine politisch wirksame Schlagkraft gewinnen. Doch wenige Tage vor der Erweiterung der Europäischen Union ist eine Diskussion entbrannt, in der die niederen Instinkte durchaus noch Wucht erlangen könnten. Es geht um die lauter werdende Forderung nach einer einheitlichen Mindestbesteuerung im gesamten europäischen Binnenmarkt.

Niemand wird bestreiten, dass das europäische Steuergefälle tatsächlich ein ernstes Problem darstellt: Manche Beitrittsländer locken erfolgreich mit minimalen Steuersätzen Investitionen und Arbeitsplätze an. Gleichzeitig haben sie Anspruch auf hohe Transferleistungen aus den reicheren Mitgliedstaaten, die ihnen auch helfen, jene Löcher zu stopfen, die durch die niedrigeren Steuersätze entstehen. Wenn deutsche Steuerzahler die Abwanderung von Arbeitsplätzen nach Osten auch noch über den EU-Geld-Transfer subventionieren, dann regt sich verständlicher Unmut. Angesichts der wirtschaftlichen Misere in Deutschland ist es kein weiter Weg zu Ressentiments gegen die neuen Mitgliedsländer.

Doch auch mit Blick auf die Lösung unserer Probleme wäre eine einheitliche Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen der falsche Ansatz. Die Konkurrenz durch Billigsteuern, die uns nun im Binnenmarkt zuwächst, sollte vielmehr als Chance und Herausforderung begriffen werden. Wirtschaft ist Wettbewerb, Konkurrenz belebt das Geschäft – aber nur dann, wenn man sich ihr stellt, nicht jedoch, wenn man ihr auszuweichen, sie auszuschalten versucht.

Angela Merkel hat völlig Recht, wenn sie – weithin allein – die Idee einer Mindestbesteuerung kategorisch ablehnt. Wenn Veränderungen Not tun, man sich selbst aber nicht ändern möchte, dann liegt es zwar nahe, die Veränderungen den anderen abzuverlangen. Doch so funktionieren Reformen nun einmal nicht. Jene in der Bundesregierung und der Union, die mehrheitlich von den Beitrittsländern eine Steueranpassung nach oben verlangen, sollten bedenken, dass sie in der deutschen Reformdebatte gerade andersherum argumentieren. Was unsere Reformpolitiker mit guten Gründen in Deutschland für richtig erklären und den änderungsunwilligen Bürgern abverlangen, müssen sie auch im europäischen Maßstab gelten lassen.

Wie das am Ende ausgeht, steht dahin. Das Gewicht der nationalen Regierungen in Steuerfragen sinkt, die Stimme Brüssels wird immer gewichtiger. Die wirtschaftspolitischen Festlegungen der europäischen Institutionen sind zumeist ein Zwitterding: neoliberale Ideologie, ausgeführt von regelungswütigen Händen. Nur eines ist da sicher: Immer mehr Subsidiarität, die Lebensgrundlage gewachsener politischer Einheiten, bleibt auf der Strecke. Auch die von Friedrich Merz beschworene Gefahr einer „Deindustrialisierung Deutschlands“ wegen der vom Europäischen Gerichtshof beschlossenen Entsperrung von Hindernissen bei Unternehmensverlagerungen, gehört in diesen Kontext.

Wundern darf es da nicht, wenn Tag für Tag die Herzen ein Stück weiter von Europa abrücken. Und freuen kann sich niemand. wenn sich Angst, Neid und Egoismus immer häufiger auch gegen Brüssel selbst richten.

Peter Siebenmorgen

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