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Hürdenläufer.

© dpa

Vier gewinnt: Wann wäre ein guter Zeitpunkt für eine Vierprozenthürde?

Mehr als 15 Prozent der abgegebenen Stimmen waren für den Eimer. Wenn jetzt kein guter Zeitpunkt für eine Vierprozenthürde ist – wann sollte sonst einer sein?

Wir Bundesbürger mögen es, wenn es in stabilen Verhältnissen harmonisch, gerecht und etwas bequem zugeht. Deshalb will jeder Zweite die große Koalition. Deshalb haben wir ein Verhältniswahlrecht, leisten uns mächtige Parteien, haben vor deren Parlamentseinzug die Fünfprozenthürde gestellt. Am Wahltag ergreift das Volk das Wort, danach lassen wir uns gerne beherrschen, am liebsten von einer Koalition. Eine absolute Mehrheit befremdet uns heutzutage. Häufig neu wählen auch.

Unser Erfolgsmodell. Es fällt schwer, daran Kritik zu üben. Demokratie ist auch, wenn die meisten mit ihr zufrieden sind. Angela Merkel an der Spitze von Schwarz- Rot wäre danach maximal demokratisch.

Aber wie würden wir denken, wenn es nach der nächsten Wahl schon wieder eine große Koalition gäbe? Und dann wieder? Und: Ist der 18. Bundestag wirklich der, den wir wollten? Die leider niedrige Wahlbeteiligung eingerechnet, findet sich dort nur rund die Hälfte aller Wahlberechtigten repräsentiert, was wiederum der Union mit 41-Komma-Prozent fast zur absoluten Mandatsmehrheit gereicht hätte. Mehr als 15 Prozent der abgegebenen Stimmen waren dagegen für den Eimer, weil nur vier Parteien über die Fünfprozenthürde kamen. Die Opposition einer Großkoalition käme auf nur 127 Sitze, zu wenig, um Untersuchungsausschüsse einzusetzen, zu wenig, um in Karlsruhe Gesetze prüfen zu lassen.

Für Demokratie gibt es keine Maßeinheit. Es ist also nichts „undemokratisch“ an diesem Bundestag, auch an der Sperrklausel nicht. Man kann Demokratie nur Räume geben, sie leben lassen und versuchen, ihr Scheitern zu verhindern. Ein – wesentliches – Mittel ist unser hochentwickeltes Wahlrecht. Weil aber nicht die Verfassung, sondern der „einfache“ Gesetzgeber darüber bestimmt, ist die Sperrklausel unter dem Regime der Großparteien von einem rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Wahlgleichheit zu einer Art Grundnorm der Staatsbeständigkeit verfestigt worden. Mit dem Argument, dass ein Parlament nicht anders funktionieren könne als unter Ausschluss der „Sonstigen“, wurde so eine innere Bannmeile gezogen. Warum das Bundesverfassungsgericht diese Hürde für die Europawahlen 2011 kippte, haben daher die wenigsten Abgeordneten nachvollziehen können. Handelt es sich hier nicht längst um Gewohnheitsrecht?

Nein, die Sperrklausel ist der variable Preis, der für die Ergebnisse der Verhältniswahl zu zahlen ist. Sie ist die Gegenleistung für das hohe Niveau an Repräsentation und Wahlgleichheit. Es muss, jedenfalls auf Bundesebene, eine geben. Demokratie ist schließlich auch, wenn nach der Wahl irgendeiner regieren kann.

Doch die „5“ im Bundeswahlgesetz hat Moses nicht vom Berg herabgetragen. Es könnte genauso gut eine „4“ sein. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass – anders als bei diesen Wahlen – die kritische Grenze regelmäßig bei zwei bis drei Prozente liegt. Die „4“ wäre mithin kein Wagnis, sondern nur ein erster Schritt. Ein Versuch. Wenn jetzt dafür kein guter Zeitpunkt ist – wann sollte sonst einer sein?

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