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Völkerrecht: Das Los der Wegwoller

Separatismus hat eine lange Geschichte, der Konflikt um Südossetien ist nur das jüngste Beispiel – noch sucht das Völkerrecht nach Lösungen.

Von Caroline Fetscher

Ein kleines Völkchen, die Südosseten, eben mal hunderttausend Leute, die ärmlich im Norden Georgiens leben, will weg. Georgiens Regierung verweigert die Trennung, Russland beschenkte die Südosseten mit russischen Pässen, und schuf damit das Argument, um „russische Staatsbürger zu schützen“ müsse es sich militärisch mitmischen. Westliche Beobachter und Politiker gestehen offen, die Lage am Kaukasus nicht zu überblicken, die „Schuldigen“ nicht dingfest machen zu können. Nach dem Vorbild Montenegros, das sich im Mai 2006 per Referendum von Serbien gelöst hatte, wollten die Südosseten sich 2006 befreien; nun wird als Vorbild auf Kosovo gezeigt, ein weiteres territoriales Zerfallsprodukt der Zeitgeschichte, entstanden dank der Hybris großserbischer Ambitionen.

Auch das sogenannte Selbstbestimmungsrecht der Völker wird in Fällen wie Südossetien bemüht, um das Bestreben nach Sezession zu legitimieren. Doch Artikel 1 und 55 der Charta der Vereinten Nationen definieren diesen Anspruch nur vage. Selbst die Frage, was ein „Volk“ überhaupt ist, bleibt unklar, obschon Gruppierungen innerhalb der Kurden, Katalanen, Basken, Iren, Kosovaren, Tschetschenen, Palästinenser, Nordzyprioten, Taiwanesen, Transnistrier, Südosseten oder Osttimoresen ihre Rechtsansprüche, mit denen sie mehr oder minder Erfolg haben oder hatten, für evident halten. Sogar manche Schotten oder Bayern sehnen sich nach Autonomie. Separatisten und Sezessionisten wollen einen Staat verlassen, Irredentisten suchen Anschluss an einen anderen, etwa die Aserbaidschan abtrünnig gewordenen Bergkarabacher, die zu Armenien gehören würden. „Terre irredente“, der italienische Begriff „unerlöste Gebiete“ gab den Irredentisten ihren bezeichnenden Namen.

Westliche Diplomaten und Politiker bekommen Sorgenfalten, sie sehen aus, als bissen sie auf saure Zitronen, wenn die Rede auf solche, emotional hoch aufgeladenen, von ethnisch-nationalistischen Klängen begleiteten Anliegen kommt. Sie wittern Unordnung, Ärger. Großmachtsvertreter von China oder Russland entwickeln eher Zornesfalten und Kampfgeist, wenn Sezessionismus an den Rändern ihrer Imperien nagt oder „Präzedenzfälle“ und „Dominoeffekte“ drohen. Auf allen Seiten haben die Reaktionen den Charakter ideologisierter Automatismen.

Ja, Grenzen markieren politische Reviere, sie bilden die Basis der symbolischen Ordnung in der Politik. Auf der politischen Weltkarte präsentieren uns die nationalstaatlich abgesteckten Territorien dabei aber einen Flickenteppich, der das historische Produkt von Prozessen ist, und diese Prozesse werden niemals völlig aufhören. Im besten Fall laufen sie in Richtung Demokratie. Daher kommt es darauf an, dass Demokratien Kriterien entwickeln, um von Fall zu Fall das Potenzial an politischer Progression einzuschätzen und auf der Grundlage des Völkerrechts und der Menschenrechte ausschöpfen zu können. Das bedeutet den Abschied von alten, unkreativen Automatismen – und Teilhabe an der Weiterentwicklung des Völkerrechts.

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