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Volksbegehren: Religion ist kein Flughafen

Anders als bei Tempelhof könnte Klaus Wowereit seine Haltung zu Pro Reli schaden. Als Antiklerikaler zu gelten, könnte seine bundespolitischen Karriereträume beenden.

Andrea Nahles, die linke Frontfrau der SPD, ist dafür; Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der in der DDR für den Widerstand aus Kirchenkreisen steht, auch. In einem sind sie sich ganz nahe: Beide wollen, dass Religion in Berlin zum ordentlichen Wahlpflichtfach wird. Je mehr Unterstützer aus der Bundespartei, um so ruhiger wird es in Berlin: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit schweigt lieber ganz. Er hat Grund dazu.

170 000 Unterschriften muss die Initiative „Pro Reli“ bis zum 24. Januar zusammenbringen. Ob das gelingt, weiß niemand – trotz der über eine Million Christen in Berlin war das Begehren nicht der erwartete Selbstläufer. Für viele, auch Kirchenmitglieder, ist Ethikunterricht in der Stadt der vielen Religionen und Kulturen das bessere Modell. Über das besinnliche Jahresende hat aber die Zahl der Unterstützer zugenommen.

Es lohnt der Blick zurück: Vor genau einem Jahr wurde beim Volksbegehren über die Schließung des Flughafens Tempelhof ähnlich spekuliert, ob die notwendigen Unterschriften zusammenkommen. Dann aber schaffte es die Kampagne, den rot-roten Senat enorm unter Druck zu setzen – auch wenn es am Ende nicht reichte. Bei Pro Reli könnte der Senat und vor allem Klaus Wowereit noch mehr Schwierigkeiten bekommen.

Erstens: Anders als beim Tempelhof-Volksbegehren, dessen Forderung für den Senat nicht bindend war, steht ein konkreter Gesetzesantrag zur Wahl. Bei einer Mehrheit für Pro Reli muss es umgesetzt werden. Dieses Moment der direkten Demokratie kann ein Mobilisierungsfaktor sein; da mag die Kampagne handwerklich noch so schlecht gemacht sein.

Zweitens, die Abstimmung findet am selben Tag wie die Europawahl statt – das gibt dem Wahlkampf in Berlin eine zusätzliche Aktualität. Die CDU wird die Pro-Reli-Forderung für ihren eigenen Wahlkampf nutzen. Um über Tempelhof abzustimmen, mussten sich die Wähler dagegen extra ins Wahllokal bewegen.

Drittens: Für die Pro Reli gibt es Unterstützer in allen Teilen und Schichten Berlins. Der Kampf für Tempelhof war nostalgisch und spaltete die Stadt; der Blockademythos bewegte West-Berlin, ließ aber den Ostteil völlig kalt.

Klaus Wowereit muss fürchten, dass er – bei einem knappen Scheiterns des Volksbegehrens – beschädigt aus dieser emotional geführten Debatte herausgeht. Ebenso wie Tempelhof wird die Pro- Reli-Kampagne bundesweit beachtet. Als Antiklerikaler zu gelten, könnte seine bundespolitischen Karriereträume beenden – mag er noch so sehr als Spezialist für mögliche rot-rote oder rot-rot-grüne Bündnisse gelten. Unter christlich orientierten Genossen wäre Wowereit kaum mehrheitsfähig. Daran kann er kein Interesse haben.

Die Prognose ist deshalb erlaubt: gelingt es „Pro Reli“, die erste Stufe des Volksbegehrens zu überspringen, dann wird sich der Senat bewegen. Zur Beratung über das Anliegen wäre das Parlament und die Landesregierung dann sowieso verpflichtet. Eine knallharte Haltung, die die Stadt spaltet, verbietet sich. Und eine Niederlage in der Religionsfrage kann sich die links-linke Koalition erst recht nicht leisten.

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