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Meinung: Voll gesogen, ausgetauscht, lackiert

Die Körperwelten-Ausstellung verletzt die Menschenwürde

Von Alexander S. Kekulé

Dass Gunther von Hagens Leichen öffentlich zur Schau stellt, empfinden viele als Tabubruch. Diese auch noch in Fabriken zu verarbeiten und in großem Stil damit Geld zu verdienen, hat etwas Anstößiges. Soll man die KörperweltenAusstellung also verbieten, dem „Plastinator“ das Handwerk legen? Von Hagens beteuert, sein Werk diene der wissenschaftlichen und kulturellen Aufklärung, sei didaktisch und künstlerisch wertvoll. Der enorme, weltweite Publikumserfolg gibt ihm Recht: Für die Auseinandersetzung mit der eigenen Anatomie, der Vergänglichkeit des Körpers und dem Tod besteht ein unübersehbarer Nachholbedarf. Die auf Leistung, Beauty und Fitness orientierte Gesellschaft hat Tod und schwere Krankheit aus ihrem Gesichtsfeld verbannt. Nur wenige waren jemals dabei, wenn ein Mensch stirbt oder haben eine Leiche aus der Nähe gesehen. Auch das Töten und Zerlegen von Tieren findet versteckt hinter hohen Schlachthofmauern statt.

Natürlich zieht auch die Lust am Gruseln das Publikum an. Im 16. Jahrhundert gehörten öffentliche Sektionen zum kulturellen Angebot wie heute gerichtsmedizinische Reportagen. Auch in öffentlichen anatomischen Sammlungen sind Leichen mit eingenähtem Reißverschluss oder mehrköpfige Föten zu bestaunen. Das Bedürfnis der Menschen, dem ihnen vorenthaltenen Tod nachzuspüren, ist legitim. Dass von Hagens daraus ein Riesengeschäft machen konnte, ist nicht ihm vorzuwerfen, sondern Folge eines überholten Tabus.

Dennoch sollte die Körperwelten-Ausstellung verboten werden. Nicht, weil sie ein Tabu bricht oder die guten Sitten stört, sondern weil sie, nach derzeitigem Kenntnisstand, die Menschenwürde der zur Schau Gestellten in eklatanter Weise verletzt. Dafür wäre es nicht einmal erforderlich, dass von Hagens – wie der „Spiegel“ behauptet – tatsächlich Hingerichtete und Leichen unklarer Herkunft verarbeitet hat. Die Würde des Menschen endet nicht mit dem Tod, genauso wenig wie sie erst mit der Geburt beginnt. Deshalb werden auch Organspender nur freigegeben, wenn sie dies zu Lebzeiten als freie Willensentscheidung verfügt haben oder enge Angehörige bezeugen, dass dies ihr mutmaßlicher Wille gewesen wäre. Eine solche Verfügung ist nur wirksam, wenn der Spender sich der Konsequenzen bewusst war, also ausreichend informiert wurde und die Informationen verstanden hat.

Dies ist jedoch bei von Hagens’ Plastinaten so gut wie ausgeschlossen. Als mit Silikonkautschuk voll gesogene Imitation von Rodins „Denker“ oder als Reiter zu Pferd ausgestellt zu werden, mit teilweise ausgetauschten und lackierten Organen – das konnte sich kein kirgisischer oder chinesischer Bauer vorstellen. Die meisten Toten dürften keine Ahnung gehabt haben, wo Berlin liegt und vor welchem kulturellen Hintergrund ihre Entblößtheit zur Schau gestellt wird. Bevor seine Ausstellung genehmigt werden könnte, müsste von Hagens für jeden einzelnen Verstorbenen nachweisen, dass der verstanden und erlaubt hat, was mit ihm passiert. Möglicherweise gibt es allerdings nur einen Menschen, dessen Phantasie dafür ausreicht – der Plastinator selbst.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J.Peyer

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