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Meinung: Vom Herd ans Fließband

Leyens Krippenpläne nutzen vor allem der Wirtschaft Von Wilhelm Hankel

Die globalisierte Wirtschaft bezahlt dem Faktor Kapital zu viel, dem Faktor Arbeit zu wenig. Dieses Übel wird unsere Sozialordnung zerstören, es sei denn, die Politik findet Wege, es zu überwinden. Doch danach sieht es nicht aus. Die Kapitalmärkte jubeln die Finanzrenditen in Höhen, die weder mit Wertschöpfung und Produktivität zu rechtfertigen sind noch mit gerechter Einkommensverteilung.

Eine Gewerbepolizei, die auf jedem Wochenmarkt vor Übervorteilung, Gammelfleisch und faulen Eiern schützt, steht international nicht zur Verfügung. Die Arbeitsmärkte wiederum leiden unter ihren menschlich-sozialen Bedingungen und kulturellen Errungenschaften. Welcher Familien- und Kulturmensch kann und darf sich denn so frei und verantwortungslos auf die Jagd nach dem höchsten Profit auf Erden begeben, wie das orts-, bindungs- und heimatlose Finanzkapital? Es kann sich Währung und Standort aussuchen, wo es Arbeit anbietet und (wenn möglich) zum Nulltarif bekommt.

Staat und Gewerkschaften haben den Kampf gegen die globale Ausbeutung des ihnen anvertrauten Humankapitals längst aufgegeben, doch nicht aus zwingenden objektiven Gründen. Sie laufen dem kapitalistischen Wolfsrudel nach und tragen mit ihrem Ja zur Etablierung notenbankfreier Weltfinanzmärkte, grenzenloser Arbeitskräftemigration in der EU und dem die Lohnstrukturen nivellierenden Euro dazu bei, den Sozialstaat der Väter zu demontieren.

Neuester Schritt auf diesem Wege ist die von der Bundesfamilienministerin mit Verve betriebene Kommunalisierung der Kinderbetreuung. Nur: Was so human klingt und dazu dienen soll, die Doppelbelastung der Frauen mit Haushalt und Beruf zu reduzieren, bewirkt das Gegenteil. Die Ungleichbezahlung von Frauen- und Männerarbeit wird nicht aufgehoben, sondern zementiert; die Entlastung von den Kosten der Kinderbetreuung fördert weder die Kinderfreudigkeit in der Gesellschaft, noch macht sie den Sozialstaat attraktiver, denn er bleibt ein System der Altersfürsorge unter Ausklammerung jeglicher Jugend- und Nachwuchsförderung.

Voll auf ihre Kosten kommt jedoch die Wirtschaft. Sie kann weiterhin an den höheren Kapital- als Arbeitsentgelten festhalten. Der Zustrom billiger und weitgehend untertariflich bezahlter Arbeitskräfte bleibt gesichert. Die Pläne der Ministerin entlarvt eine Denkschrift ihres Hause aus dem Jahr 2004 zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie und seines Forschungsinstituts, in der dies alles zu lesen steht: Das spannungsfreie Nebeneinander von weiblicher Haus- und Erwerbsarbeit werde an der Lohnfront entlasten, die Frauenerwerbsquote erhöhen und zu deutlich stärkerem Bevölkerungswachstum führen, wie die Beispiele Frankreich und Belgien zeigen. Dumm nur, dass diese Gleichung nicht aufgeht. Selbst im familienfreundlichen Frankreich liegt die Erwerbsquote der Frauen noch immer unter der deutschen.

Die Bundesregierung steht unter Druck zwingender Verfassungsgerichtsurteile. Sie verlangen (wie das „Trümmerfrauenurteil“ von 1992 und das „Pflegeurteil“ von 2001) die „Internalisierung“ der Kosten des Nachwuchses in das Sozialsystem und verbieten ihre Verlagerung in steuerliche Alimente oder gar die Budgets der Kommunen. Die Familienministerin gerät in Verdacht, Lobbyistin für vordergründige Wirtschaftsinteressen zu sein, wenn sie nicht jetzt jene Pläne aufgreift, die seit langem Gerechtigkeit für den Nachwuchs und die ihn privat finanzierenden Familien, Paare und Alleinerziehende einfordern und aufzeigen, wie man sie umsetzt. Der Sozialrichter Jürgen Borchert etwa hat sie mustergültig im seiner Schrift: „Die Familienpolitik muss neue Wege gehen“ von 2003 dargestellt. Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften ruinieren das Land, wenn sie aus dem Schwund des Humankapitals (es wird bis zur Jahrhundertmitte um ein Drittel abnehmen) weiterhin den falschen Schluss ziehen, das Finanzkapital müsse höher entlohnt werden als das Humankapital.

Marktwirtschaft und Sozialordnung verlangen das Gegenteil.

Der Autor ist Wirtschaftswissenschaftler und lehrt als Honorarprofessor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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