zum Hauptinhalt

Meinung: Vom Schäfer und dem Wolf Wie offen sollen Regierungen mit Terrorwarnungen sein?

Wer in den USA am Samstagabend die TV-Nachrichten einschaltete, sah etwas Skurriles. Selbst CNN berichtete live von der Ankunft einer Passagiermaschine auf dem Internationalen Flughafen Dulles bei Washington.

Wer in den USA am Samstagabend die TV-Nachrichten einschaltete, sah etwas Skurriles. Selbst CNN berichtete live von der Ankunft einer Passagiermaschine auf dem Internationalen Flughafen Dulles bei Washington. Die Szenen waren grottenlangweilig. Ein ganz normaler Linienflug der „British Airways“ kam langsam näher, setzte auf dem Rollfeld auf, kam zum Stehen. In der TV-Dramatik wurde aus dem Ereignis eine Sensation. Schließlich waren die vorherigen Flüge der britischen Fluggesellschaft abgesagt worden. Links im Bild, in roter Signalschrift, stand die aktuelle Terrorwarnung – „Code Orange“. Die Angst und das Banale: Selten lag dies enger beieinander.

Was soll eine Regierung tun, wenn ihr seriöse Hinweise auf eine akute terroristische Bedrohung vorliegen? Bei der Antwort konkurrieren zwei Schulen. Die Alarmisten setzen auf das Prinzip Offenheit. Die Bevölkerung wird gewarnt, Passagierflüge werden gestrichen, ein nationales Stufenmodell der Gefahr wird eingerichtet. Jeder merkt – und soll merken –, dass man gewarnt ist. Die Vorteile dieser Strategie: Mutmaßliche Terroristen werden abgeschreckt, das Volk kann später, falls doch etwas passiert, die Verantwortlichen nicht der Untätigkeit bezichtigen. Dieser Linie folgt die US-Regierung.

Ihr Nachteil: Alarmismus verhindert Fahndungserfolge. Auch die Terroristen sind schließlich gewarnt. Außerdem versetzt Offenheit die Bevölkerung leicht in Panik. Deshalb plädieren die Vertreter der zweiten Schule, die Heimlichtuer, für größtmögliche Verschwiegenheit. Die Terroristen dürften auf keinen Fall wissen, was man selbst weiß. Die beste Waffe gegen sie sei der Informationsvorsprung. Wer den preisgebe, beeinträchtige den Kampf gegen den Terrorismus. In Israel zum Beispiel setzt man eher auf dieses Prinzip.

Wie groß eine Bedrohung ist, wissen in der Regel nur wenige Eingeweihte. Sie müssen die richtige Balance aus Prävention (des Anschlags) und Effizienz (bei der Festnahme der Terroristen) finden. Was ist die richtige Balance? Das zu beurteilen, fällt von außen schwer. Eine Reihe von spektakulären Gesten allerdings, wie derzeit in den USA, bei denen die Angst sich im Nachhinein als unbegründet erweist, nähren den Verdacht des Aktionismus. Das wiederum führt zur Abstumpfung.

Es ist derselbe Effekt wie bei den Alarmanlagen in Autos. In einer Großstadt wie New York hört niemand mehr hin, wenn so ein Ding losgeht. Es wird allenfalls noch als Belästigung empfunden. Mit einer durchaus ernst zu nehmenden Gesetzesinitiative wollen viele New Yorker daher ein Verbot dieser Alarmanlagen durchsetzen. Die Bush-Regierung muss befürchten, dass ihr nationales Bedrohungssystem einst ähnliche Ressentiments auslöst.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false