zum Hauptinhalt

Von Boetticher: (K)ein Fall für Romantiker

Der Fall von Boetticher hat die Öffentlichkeit gespalten. Harald Martenstein erklärt, warum er der Liebeserklärung des Politikers nicht ganz glauben kann.

Vor einigen Jahren hat eine 16-jährige Gymnasiastin einen deutlich älteren Mann kennengelernt. Es war schlichtweg Liebe! Aus diesem Paar wurden, wenig später, meine Eltern. An der Beziehung eines schleswig-holsteinischen CDU-Politikers zu einer 16-Jährigen kann ich, allein schon aus biografischen Gründen, nichts skandalös finden. Ich finde, eine 16-Jährige darf einen 38-Jährigen lieben, eine 80-Jährige darf einen 30-Jährigen lieben, ein Mann darf einen Mann lieben, eine Frau eine Frau, ich dachte, diese Dinge seien geklärt.

Nun ist es so, dass in seiner Partei viele den Politiker B. loswerden wollten. Also hat man eine Intrige gegen ihn inszeniert, eine Intrige wie im 19. Jahrhundert. Man hat nicht mit offenem Visier gekämpft, sondern hinten herum. Man hat ihn so erledigt, wie man im 19. Jahrhundert in den USA einen Politiker erledigt hätte, der eine schwarze Geliebte hat. Mir fällt auch der österreichische Kronprinz Rudolf ein, 30, unglücklich verheiratet, der sich 1888 in die 16-jährige Mary unrettbar verliebte. Das Paar starb gemeinsam, in Mayerling, vermutlich Freitod.

Es könnte, auch ohne Freitod, eine romantische Geschichte sein. Ich hätte diesen Politiker gerne verteidigt. Ich finde, die Spießer haben unrecht, immer. Es wäre großartig gewesen, wenn er sich ähnlich verhalten hätte, wie, sagen wir, damals Klaus Wowereit. Wenn er gesagt hätte: Ich bin, der ich bin. Akzeptiert es, oder rutscht mir den Buckel runter.

Wenn der Politiker B. schwul gewesen wäre, hätte die Intrige, dank Wowereits Mut, heutzutage nicht mehr funktioniert. In dieser Hinsicht hat die Menschlichkeit über das Intrigantentum gesiegt, wahrscheinlich sogar in Schleswig-Holstein.

Aber der Politiker war genauso wie die Intriganten, falsch. Kein Romantiker. Im Frühling fängt die Geschichte an, schon im Mai trennt er sich, zufällig, als er erfährt, dass er Spitzenkandidat werden kann. Die große Liebe kann das nicht gewesen sein. Das will ich ihm auch gar nicht zum Vorwurf machen. Er stellt sich aber vor die Presse und sagt tatsächlich, unter Tränen, es sei Liebe gewesen. Er sagt nicht, es war eine Romanze, was Kurzfristiges, er sagt nicht, mein Privatleben und meine Gefühle gehen euch nichts an, er sagt nicht, die Politik ist mir wichtiger, was alles okay wäre, weil die Wahrheit, außer in den Augen der Spießer, fast immer okay ist. Nein, er sagt, es war Liebe. Kurz danach heiratet er eine andere.

Wie soll ich einem Politiker, der so offensichtlich über die Liebe lügt, jemals glauben, dass er über die Staatsfinanzen die Wahrheit sagt? Und wie soll einer, der so schlecht lügt, ein Land regieren? Deswegen musste der Mann gehen, nicht, weil er mit einer 16-Jährigen zusammen war.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false