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Von der Leyen: Ursulas heile Familie

Die sinkenden Geburtenzahlen widerlegen das Elterngeld nicht. Trotzdem bleibt dessen Wirkung auf die Familientauglichkeit der Gesellschaft beschränkt.

Die Schelte für ihr voreiliges Selbstlob hat Ursula von der Leyen schon eingesteckt. Da wurde ruchbar, was jetzt amtlich ist: Die Geburtenzahl ist 2008 gesunken. Aber damit ist das Elterngeld, das die Ministerin bei der Vorstellung des jüngsten Familienberichts zur Ursache eines zunächst erwarteten, nun aber doch ausgebliebenen neuen Babybooms erklärt hatte, nicht widerlegt. 2007, im ersten Jahr des Elterngeldes, sind mehr Kinder als in den Vorjahren geboren worden. 2008 hat sich allerdings bestätigt, was Familien- und Bevölkerungspolitiker immer gesagt haben, dass nämlich Geburtenraten nicht von Einzelmaßnahmen abhängen.

Der Wert des Elterngeldes liegt darin, dass es für gut qualifizierte, berufstätige Frauen die Hürden zum Kind tiefer legt. Elterngeld mindert den Einkommensverlust und – vielleicht noch wichtiger – es vermeidet die individuelle Abhängigkeit von einem Mann, die im Selbstverständnis junger Frauen zu Recht nicht vorgesehen ist. Kulturell erleichtert das Elterngeld damit eine Entscheidung der emanzipierten Frau für die Mutterschaft. Sozial ist es eindeutig selektiv: Es hilft den Frauen, die den langen Weg von Ausbildung und Berufseinstieg zum guten Job geschafft haben. Elterngeld nützt den Bessergestellten – und auch denen nur während der Babyzeit.

Wenn Ursula von der Leyen Schelte verdient hat, dann eine härtere als die für den Kurzschluss zwischen Kinderzahl und Elterngeld. So wichtig das Elterngeld als bevölkerungspolitischer Schwellensenker ist, so beschränkt bleibt seine Wirkung auf die Familientauglichkeit der Gesellschaft insgesamt – und auf die der Frauen, die unverändert die Hauptlasten der Kindererziehung tragen. Von der Leyen suggeriert eine modern-heile Familie, nicht die tatsächliche.

Unstrittig der Star in der christdemokratischen Ministerriege unter Angela Merkel, hat von der Leyen die Union mit Elterngeld und Betreuungsausbau auf die Höhe der Zeit gebracht. Doch sie verkauft und erzählt das neue Frauen- und Familienbild als eine bürgerliche Erfolgsgeschichte, die in der Lebensrealität der Familien nicht eingelöst wird, weder in den Mittelschichten noch anderswo. Wenn von der Leyen dabei bleiben will, von den Kehr- und Schattenseiten nicht zu laut zu reden, dann ist ihre Mission eigentlich erfüllt: Die Rückständigkeit der Union auf diesem Feld ist abgeräumt. Und mit der wirklichen Familie ist kein neues Ufer für die Union zu gewinnen. Erstaunlich, wie unbemerkt geblieben ist, dass von der Leyen offenbar auch selbst die Grenzen ihres Amtes sieht: Im „Spiegel“-Interview dieser Woche hat sie eine recht unverblümte Bewerbung für einen neuen, einen anderen Posten im nächsten Merkel-Kabinett eingereicht.

Auf der Höhe der Zeit finden sich eben auch Probleme, für die mancher Familienpatriarch der Union eine so gute Witterung hat, dass die christdemokratische Ministerin vorsorglich nicht darüber redet. Zum Normalfall gehört heute die Kleinstfamilie, in der rund zwei Millionen Kinder aufwachsen, meist bei ihren Müttern. Alleinerziehend kann die geschiedene Akademikerin ebenso werden wie die Teenagermutter ohne Beruf. Erstere repräsentiert die Kehrseiten der emanzipierten Moderne, letztere die Schattenseite der neuen sozialen Spaltung der Gesellschaft. Gemeinsam ist ihnen die massive und tägliche Erfahrung, mit ihren Nöten allein zu sein. Die Zahl der Kinder wächst unaufhörlich, in deren Elternhäusern man nicht lernen kann, was es heißt, auf eigenen Füßen zu stehen und stolz auf die Arbeit zu sein. Zur Familienrealität unserer Zeit gehören die Feminisierung unterbezahlter Erziehungsberufe, Jungen ohne Leitbilder, die tägliche Überforderung berufstätiger Mütter, das Elterngefühl, wegen der Anforderungen der Turbo-Arbeitswelt den Kindern zu wenig zu geben, Eltern, die mit ihren Kindern restlos überfordert sind und eine kinderarme Erwachsenenwelt, die sich weigert, die gesellschaftliche Verantwortung für Kinder anzunehmen.

Das muss eine Frauen- und Familienministerin sagen und wiederholen, ja, strapazieren, wo sie geht und steht.

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