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Die Euro-Krise hat Ost- und Westdeutsche mehr als vieles andere zusammengebracht.

© dpa

Von der Uckermark bis an den Bodensee: Erst die Euro-Krise hat die deutsche Einheit vollendet

Kaum jemand redet mehr über Ost und West, dafür umso mehr über Nord und Süd. Die Krise des Euro hat die Deutschen zusammengebracht: Im Angesicht der Schuldenkrise am Mittelmeer fühlen wir uns plötzlich alle so, als wären wir Geber.

Von den neuen Bundesländern redet eigentlich niemand mehr, die „Mauer in den Köpfen“ ist aus den Debatten verschwunden. Ost- und westdeutsche Befindlichkeiten werden allenfalls dann noch reflektiert, wenn ein Mauerfall-Jahrestag oder der 3. Oktober ansteht. Wir unterscheiden kaum noch zwischen Ost und West, dafür aber umso stärker zwischen Nord und Süd.

Das Verblassen der Trennungslinien mag damit zusammenhängen, dass die Zeit über manches hinweggegangen ist, dass gemischte Ehen geschlossen werden und verfallene Häuser saniert worden sind. Wahr ist aber auch: Die Euro-Krise hat Ost- und Westdeutsche mehr als vieles andere zusammengebracht. In den Diskussionen um südliche Nazi-Vergleiche ist von einer eigenen Ost-Identität keine Rede mehr. Und noch vor zehn Jahren wurde darüber gestritten, ob die deutschdeutsche Wirtschaftseinheit ein Fehler war. Heute wird unter Problemen einer Währungsunion etwas ganz anderes verstanden.

Zweimal haben die Ostdeutschen erleben können, wie es ist, wenn eine Währung umgestellt wird. Daraus haben sie einen Wettbewerbsvorteil gezogen. Aus Ostmark wurde erst die D-Mark, dann der Euro. Mussten DDR-Bürger beim Urlaub am Balaton ihre Ostmünzen noch zwei Mal umdrehen, so wird im Ausland jetzt kein Unterschied mehr gemacht: Der deutsche Hegemon wohnt genauso in der Uckermark wie am Bodensee.

Dabei verharren die ostdeutschen Bundesländer nach wie vor unter dem europäischen Mittel – sie erreichen nur etwa 90 Prozent der durchschnittlichen EU-Wirtschaftskraft. Was aber die politische Wahrnehmung nicht stört. Hier werden die Deutschen mittlerweile über dem Durchschnitt eingenordet – egal ob Ost oder West. Dass auch in den vergangenen sechs Jahren noch neun Milliarden Euro aus EU-Töpfen als Strukturhilfe nach Ostdeutschland geflossen sind, wird hingegen lieber verdrängt: Im Angesicht der Schuldenkrise am Mittelmeer sind wir alle zu Gebern geworden.

Paradoxerweise musste Ostdeutschland nach der DM-Einführung mit ähnlichen Problemen kämpfen, wie sie seit 2002 in Südeuropa auftreten. Eine zu starke Währung trifft auf eine zu schwache Wirtschaft. Die Folge sind zu hohe Kosten und zu wenig Arbeitsplätze. Der Osten hat sich inzwischen gefangen, auch wenn die ganz großen Erfolgsgeschichten ausgeblieben sind. Daraus erwächst durchaus neues Selbstbewusstsein: Was Griechen und Italienern noch bevorsteht, haben wir schon hinter uns – wir haben nicht nur Honeckers DDR, sondern auch Schröders Agenda überstanden.

Unbeliebtes Deutschland: Demonstranten in der zyprischen Hauptstadt Nikosia.
Unbeliebtes Deutschland: Demonstranten in der zyprischen Hauptstadt Nikosia.

© AFP

Auf der anderen Seite wurden die Westdeutschen mit der Vereinigung auf das vorbereitet, was ihnen wohl auch in den kommenden Jahren blüht: Sie wurden zu Wohlstandsverlierern. Die Einheit hat die Westdeutschen sparsamer gemacht. Und die Ostdeutschen machen gerade die Erfahrung, dass sie den Bürgern im Westen tatsächlich mehr wert sind als Italiener und Griechen zusammen. Etwa 80 bis 100 Milliarden Euro wurden jährlich von West nach Ost transferiert – eine Summe, von der die Mittelmeerstaaten nur träumen können.

Vielleicht aber hatten Ost- und Westdeutsche vor allem auch enormes Glück. Wäre der Mauerfall mit der Banken- und Finanzkrise zusammengefallen, sähe auch unsere Einheit anders aus.

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