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Meinung: Von Mäusen und Männern

Ein Experiment beweist: Genetisch ist das starke Geschlecht entbehrlich

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Genetisch gesehen ist der Mann eine vom Aussterben bedrohte Kreatur: Das Y-Chromosom, das die männlichen Erbinformationen trägt, verliert seit Millionen Jahren ein Gen nach dem anderen. Von den Herren der Schöpfung bis vor kurzem unbemerkt, ist die Blaupause des Maskulinen von etwa 1000 auf derzeit knapp 100 Gene zusammengeschrumpft – einige Evolutionsforscher prophezeien deshalb, dass der Mann mangels Erbmasse aussterben wird.

Biologisch besteht der „kleine Unterschied“ in dem einen Y-Chromosom des Mannes; Frauen haben zwei X-Chromosomen. Die Menschheit könnte theoretisch also ohne Y-Chromosomen weiterleben – als rein weibliche Spezies, eine Art „Gyno sapiens“. Im Tierreich sind fast reinrassige Frauengesellschaften keine Seltenheit: Bei manchen Insekten und Reptilien können sich die Weibchen alleine vermehren, nur bei den Säugetieren hat der Schöpfer, so schien es zumindest bisher, mit dem starken Geschlecht ein Erbarmen gehabt: Die männerfeindliche Vermehrungsmethode der „Jungfernzeugung“ (Parthenogenese), bei der Eier ohne Samen zu – ausschließlich weiblichem – Nachwuchs heranwachsen, funktioniert hier nicht. Der Grund: Einige in der Eizelle abgeschaltete Gene sind nur im Spermium aktiv und umgekehrt. Wegen dieser strikten Arbeitsteilung zwischen väterlichen und mütterlichen Genen kann bei Säugetieren nur ein befruchtetes Ei alle Erbinformationen ablesen und sich zu einem neuen Lebewesen entwickeln. Bisher galt dieses „Imprinting“ als höchst komplizierter, nicht zu knackender Schutz der zweigeschlechtlichen Vermehrung: Die Sexualität ist in der Evolution ein unübertroffenes Erfolgsmodell, weil das in zwei Kopien vorhandene genetische Material besser Erbfehler korrigieren und sich an Umweltveränderungen anpassen kann.

Seit letzter Woche ist jedoch klar, dass die Existenzberechtigung des Mannes an einem dünnen Faden hängt. Mit einer vergleichsweise winzigen genetischen Veränderung gelang es einem Team japanischer und südkoreanischer Wissenschaftler, durch Jungfernzeugung ein Mäuseweibchen zur Welt zu bringen. Durch einfaches Ausschalten zweier Gene konnten sie das „Imprinting“ einer Eizelle so verändern, dass diese wie ein Spermium eine normale Eizelle quasi befruchtete. Das vaterlose Mäusebaby nannten die Forscher „Kaguya“, nach einer japanischen Märchenprinzessin.

Die bereits von Kastrationsangst, schrumpfendem Y-Chromosom und spermienschwächenden Umweltgiften geplagten Männer müssen allerdings wegen „Kaguya“ keine zusätzlichen Albträume haben: Weil das Imprinting bei jedem Tier anders funktioniert, lassen sich die Ergebnisse vorläufig nicht auf den Menschen übertragen, möglicherweise nicht einmal auf andere Mauslinien. Dagegen stellt die erste Jungfernzeugung eines Säugetiers die Bioethik vor erhebliche Probleme. Bisher galten parthenogenetisch erzeugte Embryos als nicht lebensfähig und deshalb als vergleichsweise unbedenkliche Quelle zur Gewinnung von Stammzellen. Nach den neuen Erkenntnissen müsste Parthenogenese beim Menschen jedoch kontrolliert werden wie das Klonen, obwohl „Kaguya“ kein Klon ist, sondern ein Individuum mit einmaligen Genen von zwei Elternteilen – einer Mutter und noch einer Mutter.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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