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Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan bei einem Wahlkampfauftritt

© AFP

Vor dem Köln-Besuch: Der Egotrip des Recep Tayyip Erdogan

In Köln wollen sie ihn nicht. Aber wenn Erdogan in Deutschland Wahlkampf machen will, dann soll er das tun dürfen - die Meinungsfreiheit erlaubt es ihm. Spannender ist ohnehin, wer ihm überhaupt noch zuhören will.

Für viele wirkt das als Provokation. Recep Tayyip Erdogan, der türkische Ministerpräsident, will am Samstag in einer Kölner Sportarena eine Rede halten. Vor 20.000 in Deutschland lebenden Landsleuten und auch Deutschen mit türkischen Wurzeln und womöglich doppelter Staatsbürgerschaft.

Solche Reden hat es schon früher gegeben, und manchmal waren sie umstritten, etwa wenn Erdogan statt deutsch-türkischer Integration eher nationalistisch und fundamentalistisch eine Parallelgesellschaft beschwor. Trotzdem, vor noch nicht langer Zeit hätte sich kaum jemand bereits vorab über den türkischen Gast erregt. Nun aber sagen Bundespolitiker, dass Erdogan das Gastrecht missbrauche, und Kölns Oberbürgermeister fordert eine Absage des Auftritts. Selbst der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland ist in Sorge, dass der Mann aus Ankara, der die Türkei durch seine Politik gespalten habe, nun auch die mehr als anderthalb Millionen Türken in Deutschland zu polarisieren drohe. Demonstrationen sind längst angekündigt.

Erdogan ließ knüppeln, schießen, verhaften statt Trauer zu zeigen

Der aktuelle Auslöser ist das Verhalten Erdogans nach dem fürchterlichen Grubenunglück von Soma. Statt Verständnis für die Trauer und Wut der Bergleute und ihrer Familien zu zeigen, lässt der Ministerpräsident Kritiker treten und seine Polizei einmal mehr knüppeln, schießen, verhaften. Was seit den Istanbuler Gezi-Protesten im vergangenen Mai unter Erdogans hasslauten Ordern in der Türkei geschieht, ist eine erschreckende Transformation. Ein großes Land, ein Mitglied des transatlantischen Bündnisses, das sich gerade noch um mehr Rechtsstaatlichkeit und den Beitritt in die Europäische Union bemüht hat, entwickelt sich zurück in eine Art Halbdiktatur: mit eingeschränkten Bürgerrechten, mit Justizwillkür und religiös verbrämter Intoleranz.

Recep Tayyip Erdogan geriert sich dabei immer weniger als demokratisch und auf Zeit gewählter Regierungschef, sondern als demagogischer Autokrat, den Korruption und Machtmissbrauch nicht mehr scheren. Soll man ihn darum in Köln willkommen heißen? Nein. Soll man ihn in Köln reden lassen? Ja.

Die deutsche Regierung hat gegen den Auftritt keine Handhabe

Die deutsche Regierung hat ihn nicht eingeladen, sie kann und muss Erdogan also auch nicht ausladen. Der Auftritt in Köln ist kein Staatsbesuch mit offiziellem Gastrecht und gar der Aufforderung zur öffentlichen Rede. Dies ist der Unterschied zur jüngsten Visite von Bundespräsident Gauck in der Türkei, bei der Erdogan auf sehr höfliche Kritik sofort mit einem verbalen Rausschmiss reagiert hat.

Der hier ungebetene Gast aber bleibt: der Besucher in einem Land, in dem Meinungsfreiheit herrscht und in dem gegenüber einem ausländischen Politiker, gegen den bislang kein internationaler Gerichtshof ermittelt, zumindest die diplomatische Höflichkeit gewahrt werden sollte. Großzügigkeit ist eine Zierde. Das hat auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit seiner Äußerung beglaubigt, „unsere Demokratie hält es aus, wenn Herr Erdogan sich an seine Landsleute wendet“.

Die vielfach angemahnte „Willkommenskultur“, an der es in Deutschland gegenüber Migranten und Flüchtlingen tatsächlich oft mangelt, sie ist damit jedoch nicht angesprochen. Hätte Erdogan selber Stil und mehr Taktgefühl, dann bliebe er nach dem Grubenunglück ohnehin zu Hause. Stattdessen wird er hier mit Gefühlen erwartet wie bei einem Auftritt seines Vorbilds Putin. Der könnte sich ja demnächst auch mal an seine Landsleute in Deutschland wenden. Wahlkampf im Ausland? Wohl eher ein Egotrip.

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