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Meinung: Vor unseren Augen

Von Joachim Huber

Das Internet vergisst nichts und niemanden. Cho Seung-Hui, der 32 Menschen und sich selbst tötete, hat darauf spekuliert. Mit seinem Selbstdarstellungsvideo hat er sich für die Nachwelt verewigt: irr, wirr, in der gewollt coolen Ästhetik der „Helden“, wie sie durch die Ego-Shooter-Games toben. Ein Massenmörder in der Youtube-Welt, auch ein Vorbild für potenzielle Nachahmer? Keine Frage ist es, dass die Mittel und Möglichkeiten der digitalen Medien der gesteigerten Präsentationslust eine immer größere Plattform bieten. Gerade die junge Generation filmt, knippst, belichtet sich selbst mit rasender Begeisterung, es ist eine geile Sache, mit dem eigenen Bild die Blicke der anderen, am besten der ganzen Welt auf sich zu ziehen.

Durchaus eine ernsthaft zu diskutierende Frage ist es, ob jemand ein Auge darauf haben sollte, wer sich da wie und wo präsentieren darf. Wo endet das notwendige Dokument in Seung-Huis Video, wo beginnt die zweifelhafte Annonce für weitere Amokläufer? Bisher gilt die Überzeugung, dass die medial vermittelte Gewalt und die medial vermittelte Anleitung zur Gewaltausübung nicht in eigenes gewalttätiges Handeln umgesetzt werden. Die fremden Bösen bleiben die fernen Bösen.

Die Amokläufe im Erfurter Gutenberg-Gymnasium, an der Columbine-Highschool und jetzt an der Virginia Tech bringen Zweifel an der These auf, ja verstärken sie. Seung-Hui selbst sieht sich in einer Linie mit den Columbine-Tätern. Stell dir vor, gestern warst du ein verlachter Niemand und heute bist du ein gefürchteter Killer, auch ein bewunderter Held. Ein armer Irrer, wie es bei den Erwachsenen so heißt. Jetzt aber mit Bild, im Video, im Internet, jetzt und immer da. Das ist eine Bedrohung, eine Verlockung. Cho Seung-Hui ist ein vielfacher Mörder, der die Chance hat, sich mittels der Medien nicht nur zu erklären, sondern sich zu rehabilitieren. Das kann nicht sein.

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