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Meinung: Vorboten des Bürgerkriegs

Die Amerikaner verlassen den Irak – und die Iraker bekämpfen sich wieder untereinander

Im Irak geht die Angst um. Vor zehn Wochen noch hatte die Bevölkerung den Abzugstermin der amerikanischen Kampftruppen aus ihren Städten zum Nationalfeiertag gemacht. Endlich, sechs Jahre nach der Invasion der „Koalition der Willigen“, fühlten sich die Iraker auf dem Weg in eine selbstbestimmte Zukunft – und finden sich nun jäh zurück auf dem Boden der Tatsachen: Großbomben im Herzen der Hauptstadt, zwei Ministerien in Trümmern, hunderte Tote und Verletzte, Serienterror gegen schiitische Moscheen und Marktplätze.

Präsident Obama will das Thema Irak möglichst schnell zu den Akten legen. Nur noch raus, je eher, umso besser, ohne dass das Land im Chaos versinkt, bleibt auch nach den neuerlichen Serienattentaten die Devise im Weißen Haus. Darum hofft man in Washington, dass die irakische Führung nun aufwacht und ihr stolzes Pochen auf Souveränität endlich mit entsprechenden Taten untermauert. Denn Bagdad mangelt es an politischer Weitsicht, an Kompetenz und Verantwortungsgefühl sowie an Disziplin. Die Sicherheitskräfte haben zwar 750 000 Mann unter Waffen und sind seit Jahren von US-Ausbildern gedrillt. Doch auf sich gestellt agieren sie nachlässig, ohne Eigeninitiative und vielfach korrupt.

Die größte Hypothek für die Zukunft jedoch liegt in den ungelösten Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen und Regionen. Jeder hat mit jedem noch gefährliche Rechnungen offen – und die schiitisch dominierte Regierung tut wenig, um die Konflikte politisch zu entschärfen. Zum Ärger von Bagdad vermarkten die Kurden ihr Öl inzwischen selbst. Die Sunniten wiederum fürchten, keinen fairen Anteil an dem restlichen nationalen Geldsegen zu bekommen. Viele Karrieren aus ihren Reihen endeten, weil nach der Invasion 2003 alle Mitglieder der Baath-Partei aus Verwaltungen, Universitäten und Unternehmen entlassen wurden.

Die Mehrzahl der sunnitischen Milizionäre, durch die der Kampf gegen Al Qaida erst Erfolge brachte, fühlt sich ebenfalls an der Nase herumgeführt. Die Regierung in Bagdad stoppte die bisher von der US-Armee gezahlten Gehälter, die versprochenen Jobs in den Sicherheitskräften lösten sich in Luft auf. Kein Wunder, dass fast alle Attentate der letzten Wochen auf das Konto von Sunniten gehen, die sich als entthronte politische Kaste marginalisiert fühlen. Ihr blutiges Treiben zielt auf die Fundamente des irakischen Staates. Er soll vorgeführt werden als unfähig, seine Bürger zu schützen. Und er soll zurückgetrieben werden in einen offenen Bürgerkrieg zwischen seinen Glaubensgruppen.

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