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Meinung: Währungskrise in der Türkei: Wertlose Worte, entwertetes Geld

Den Türken ging es auch vor dem Wirtschaftsdebakel dieser Woche wahrlich schlecht genug. Rund 7500 Mark betrug das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Türken für das gesamte vergangene Jahr.

Den Türken ging es auch vor dem Wirtschaftsdebakel dieser Woche wahrlich schlecht genug. Rund 7500 Mark betrug das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Türken für das gesamte vergangene Jahr. Ein Drittel der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze, für jeden fünften Türken ist Hunger eine tägliche Gefahr. Viele Menschen haben zwei Jobs, arbeiten fast rund um die Uhr, um ihre Familien über die Runden zu bringen. Dennoch ertrugen die leidgeprüften Türken relativ klaglos die Härten des mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbarten Anti-Inflations-Programms, das auch Ergebnisse gezeitigt hatte. Nun verspielte der Ministerpräsident des Landes mutwillig alles Erreichte: Die Lira war gestern bis zu 36 Prozent weniger wert als zu Wochenbeginn, die Inflation wird nun aller Erwartung nach wieder nach oben schnellen.

Anders als bei der letzten Finanzkrise vergangenen Dezember kann die türkische Regierung diesmal keine mildernden Umstände geltend machen: Die Krise ist vollständig selbstverschuldet, und zwar vom Regierungschef höchstpersönlich. Offenbar hatte Bülent Ecevit zunächst keine Ahnung, was er anrichtete, als er am Montag Türen knallend aus einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates stürmte und seinen Streit mit Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer über die Korruptionsbekämpfung an die große Glocke hängte. Doch selbst der sofort einsetzende Sturz der Istanbuler Börse, der Abfluss von einem Fünftel der Devisenreserven des Landes aus der Zentralbank und der Schwindel erregende Anstieg der Zinsen konnten den Ministerpräsidenten nicht zur Besinnung bringen. Mutwillig goss Ecevit am Mittwoch noch Öl in die Flammen: Sezer habe leider seine Bitte abgeschlagen, mit einer öffentlichen Erklärung seine Wirtschaftspolitik zu unterstützen, sagte der Regierungschef vor laufenden Kameras. Ein durchsichtiger Versuch, dem Präsidenten die Schuld in die Schuhe zu schieben - wo doch die Märkte mit angehaltenem Atem auf ein Zeichen des Schulterschlusses an der Staatsspitze warteten. Die Börse schloss an diesem Tag mit Rekordverlust, die verzweifelten Versuche der Zentralbank zur Verteidigung der Landeswährung trieben die Zinsen über 6000 Prozent, wenige Stunden später musste die Regierung die Lira freigeben.

Damit und auch mit weiteren Hilfen des IWF ist der Fall aber nicht ausgestanden, denn der Stein des Anstoßes ist nicht aus dem Weg geräumt, im Gegenteil: Die Frage, wie ernst die Regierung es mit der Korruptionsbekämpfung meint, ist offener denn je. Ecevit hat bisher jedenfalls nicht erklären wollen, was ihm denn daran nicht passt, dass der Präsident ein unabhängiges Kontrollgremium auf die finstereren Winkel des Bankenwesens loslassen und damit auch den Korruptionsermittlungen der Regierung auf die Finger sehen lassen will. Dass der Regierungschef über diese Frage einen so folgenreichen Streit vom Zaun brach, legt nahe, dass die Regierung beim Aufräumen des Sektors politische Rücksichten nimmt.

Ecevit selbst gilt zwar als persönlich integer, doch er ist mit 75 Jahren und schwer krank zum letzten Mal an der Regierungsmacht, an der er umso krampfhafter festhält - offenbar auch um den Preis der Kompromittierung durch die teils weniger gut beleumundeten Koalitionspartner, auf die er angewiesen ist. Sezer hat solche Rücksichtnahmen nicht nötig. Weil im zersplitterten türkischen Parlament und der verbrauchten politischen Szene des Landes so schnell keine Alternative zu Ecevit in Sicht ist, bleibt für die leidgeprüften Türken alles beim Alten - bis zum nächsten Debakel, das deshalb nicht allzu fern sein dürfte.

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