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Wahl des Bundespräsidenten: Einer von uns, keiner von denen

Die bevorstehende Wahl des Bundespräsidenten verdeutlicht die Kluft zwischen Bürgern und politischer Klasse. Letzterer geht es vor allem um Machterhalt. Das untergräbt die Demokratie.

Horst Köhlers verstörender Rücktritt hat eine produktive Nebenwirkung. Er hat die wachsende Kluft zwischen Bevölkerung und Politik zum Thema gemacht, die es in allen westlichen Demokratien schon lange gibt und wie ein unentdeckter Schwelbrand deren Kraft bedroht. „Die Politik“, gegen die der Verdruss sich richtet, gehört in Anführungszeichen, weil sie nur ein fades Surrogat dessen ist, was das Politische sein kann. Ein sozialer Prozess, der alle angeht und den Interessierten ermöglicht, in der öffentlichen Arena mitzumischen.

Wer dagegen heute das Wort Politik hört, assoziiert Machtpolitik. Darin sind sich die Bevölkerung auf der einen, die Berufspolitiker und ihre medialen Beobachter auf der anderen Seite einig. Damit sind die Gemeinsamkeiten aber schon erschöpft. Wenn die Bundeskanzlerin bei der Nominierung ihres Kandidaten die Devise ausgibt, diesmal müsse es aber „einer von uns“ sein, also ein in den Machtapparaturen vielfach gerösteter und abgehärteter Berufspolitiker, dann provoziert sie geradezu die Reaktion des von ihr regierten Volkes. Bloß „keiner von denen“! Aus diesem Kontrast bezieht die Konkurrenz um die Bundespräsidentenwahl ihren Reiz.

Sie sind sehr verschiedene Menschen, der Bürgerpräsident Köhler und der Bürgerrechtler Gauck. Doch die Projektionen, die sich auf sie richten, sind die gleichen. Ja, man kann sich sogar vorstellen, dass Christian Wulff, sollte er gewählt werden, in einem Jahr ähnliche Gefühle mobilisieren wird. Warum war Köhler so beliebt, warum mobilisiert Gauck Hoffnungen, die kein Bundespräsident erfüllen kann. Warum steht Wulff in einem Gegenwind, den er möglicherweise nicht verdient?

Berufsmäßige Politikakteure neigen dazu, Köhlers Popularität damit zu erklären, dass der sich eben auf Kosten „der Politik“ beim Publikum profiliert habe. Und Gaucks Aufstieg mit der Sehnsucht nach Heilsbringern, die es, wie echte Politprofis wissen, gar nicht gibt. Politikerprojektionen mit lupenreinen Abwehrreflexen. Über das Defizit, auf das die Sehnsüchte hinweisen, muss man sich nach solchen Antworten den Kopf nicht mehr zerbrechen. Wulff darf in diesem Stück die personifizierte Genügsamkeit spielen. Das Volk soll hoffen, was es will, irgendwann beruhigt es sich schon wieder.

Das Problem ist nur: Je häufiger solche Rechnungen aufgehen, desto mehr untergraben sie die Vitalität der Demokratie. Das dergestalt beruhigte Volk wendet sich zusehends ab, nicht nur von Politikern. Das Politische überhaupt gerät in Misskredit, eine Spirale nach unten kommt in Gang. Dreißig Prozent der Bürger gehen nicht zur Bundestagswahl, vierzig Prozent nicht zur Landtagswahl im größten Bundesland. Und weil sie es nicht tun, kann Politik zur Sache von wenigen werden, die mit den anderen Mächtigen im Land die öffentlichen Angelegenheiten unter sich ausmachen. Verantwortlich dafür sind die vielen, die sich abwenden, weil sie sich ohnmächtiger fühlen, als sie laut Grundgesetz sein müssten. Verantwortlich sind Politiker, die sich mächtiger geben, als sie wirklich sind. Ihr Zynismus ist dümmer als alle Hoffnungen und Sehnsüchte des Volkes. Denn konkurrenzfähig mit der Macht von Wirtschaft oder Geld sind Politik und Politiker nur mittels ihrer Legitimation.

Es sind urdemokratische Wünsche, die auf Köhler oder Gauck projiziert werden. Nach einem Verständnis des Politischen, das Volk und Politik nicht als Gegensatz versteht, nach Politikern, die ihren Gemeinsinn nicht dem Ehrgeiz opfern.

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