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Meinung: Wahlen in Hamburg: Stabil und dennoch voller Fragen

Der Wähler betritt wieder die Szene. In Hamburg.

Der Wähler betritt wieder die Szene. In Hamburg. Aber das unbekannte, weil letztlich trotz aller Umfragen nicht ganz zu kalkulierende Wesen wird an diesem Sonntag nicht allein darüber entscheiden, ob der Wechsel stattfindet, den alle seit Monaten der Stadt prophezeien. Der Terror-Anschlag in Amerika hat die Hamburg-Wahl auch zu einem Orakel gemacht, das Auskunft darüber geben kann, wie sicher - oder wie erschüttert - die Gesellschaft in der Bundesrepublik ist. Denn in der Politik sind es Wahlen, die - wie in der Wirtschaft die Börsenkurse - die Stimmungen in die Währung umwechseln, mit der gerechnet wird. Es kommt hinzu, wahrhaftig erschwerend, dass nach dieser Wahl zur Hamburger Bürgerschaft der Wähler die Szene praktisch nicht mehr verlassen wird - im Oktober wählt Berlin, im März Bayern, im April Sachsen-Anhalt, dann ist Bundestagswahl.

Natürlich stimmen die Hamburger nicht über Krieg und Frieden ab. Aber der Eindruck des Schocks liegt dennoch über der Wahl. Dass die Spuren mehrerer Attentäter in die Stadt führen, nach Hamburg-Harburg, ist dabei nur ein gespenstischer Schattenriss auf der Projektionsfläche einer tief gehenden Bewegung. Der politische, wirtschaftliche und seelische Klimasturz, den die monströsen Tat ausgelöst hat - einschließlich der daraus folgenden Ängste, Überlegungen und Planungen -, rüttelt auch am Bewusstsein der Hamburger Wähler. Nur weiß keiner, wie: Als Verstärker des Misstrauens gegenüber den Handelnden? Als vagierende Angst, die nach dem nächst-besten Beruhigungsmittel greift - sei es der starke Mann oder auch nur das starke Wort? Oder als Imperativ, zusammenzurücken und die Gesellschaft gegenüber möglichen Bedrohungen wetterfest zu machen?

Für diese Evaluierung des bundesrepublikanischen Bewusstseins ist Hamburg kein schlechtes Probierfeld. Einerseits war die Stadt immer eine Bastion der Stabilität - seit Kriegsende SPD-regiert, nicht gerechnet die vier Jahre Bürgerblock in den fünfziger Jahren. Andererseits hatte Hamburg stets auch seine politischen Ausreißer-Möglichkeiten: In den achtziger Jahren eine Grün-Alternative Liste, mit deren Rigorismus nur die Berliner Alternativen konkurrieren konnten; in den neunziger Jahren die Statt-Partei, eine bürgerliche Protest-Partei, die aus dem Stand acht Sitze erreichte - und inzwischen sanft verblichen ist -; bei dieser Wahl den ehemaligen Amtsrichter Schill, der mit rechtspopulistischen Parolen zweistellige Umfrageergebnisse erreicht hat. Ganz abgesehen von so aparten Garnierungen der politischen Landschaft wie einer PDS, die wegen Linksradikalismus von der Bundes-PDS in Quarantäne gehalten wird, und einer DVU, die mit alten Schröder-Äußerungen zur Ausländer-Frage im Trüben fischen will.

Vor allem aber bietet Hamburgs SPD kein starkes Bild und hat, zumal beim Thema innere Sicherheit, unsicher agiert. Die begonnene Debatte über die Bekämpfung des Terrors könnte also den Zug zum Wechsel verstärken. Mit Schill im Senat? Oder treibt die Verunsicherung die Wähler - wie oft in Krisenzeiten - zurück zur gewohnten SPD? Immerhin hat sie es kurz vor Torschluss noch geschafft, den Wählern einen Law-and-order-Mann als Innensenator zu offerieren. Und dann gibt es noch die Quadratur des Zirkels: Den Wechsel bewirken und Schill verhindern. Das wäre, was fast ebenso unwahrscheinlich ist, die Große Koalition. Ganz leise wird sie neuerdings ins Spiel gebrachten.

Das alles sind Hamburger Wahl-Fragen, aber nicht nur: So wie dieser Wahltermin liegt, in der Randnähe des Schreckens und am Beginn eines langen Wahl-Kampfs, ist fast nicht zu vermeiden, dass sein Ergebnis einen Schatten wirft, der weit über die Stadtgrenzen hinausgeht. Es kann Aufschluss darüber geben, ob die Deutschen in der Lage sind, auf den neuen Terror und seine Folgen besonnen zu reagieren oder ob sie zur Panik tendieren. Und ein Wechsel würde der politischen Auseinandersetzung einen Schub verleihen, der noch in den Wahlmarathon des nächsten Jahres hineinreichte. Anders: Wahlen sind Fragen, die die Politik stellt. Die Wähler geben die Antwort. Es gibt Antworten, die vor allem neue Fragen aufwerfen. Der erste Betroffene wäre, im Oktober, Berlin.

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