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Meinung: Wahlen in Polen: Ein Aufbruch, keine Krise

Na, welch ein Segen, dass die Ost-Erweiterung der EU noch nicht vollzogen ist, mag sich mancher denken - angesichts der politischen Instabilität bei Deutschlands östlichen Nachbarn. In Tschechien versucht die Regierung elf Jahre nach der demokratischen Wende das Fernsehen unter ihre Kontrolle zu bekommen.

Na, welch ein Segen, dass die Ost-Erweiterung der EU noch nicht vollzogen ist, mag sich mancher denken - angesichts der politischen Instabilität bei Deutschlands östlichen Nachbarn. In Tschechien versucht die Regierung elf Jahre nach der demokratischen Wende das Fernsehen unter ihre Kontrolle zu bekommen. Und in Polen, das mit seinen neun Ministerpräsidenten seit 1989 an unselige italienische Verhältnisse erinnert, bricht gerade das Mehrparteiensystem auseinander, das sich im ersten Jahrzehnt nach der kommunistischen Diktatur mühsam gebildet hatte. Gut, dass das deren Sorge ist und nicht ein Problem der EU-Innenpolitik. So könnte man meinen.

Wäre aber womöglich falsch gedacht. Klar, Tschechien und Polen durchleben derzeit schwere innenpolitische Krisen, das lässt sich nicht bestreiten. Aber ihr Verlauf belegt nicht die vermutete Schwäche der jungen Demokratien, sondern - im Gegenteil - ihre Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Eine überraschend ausgeprägte Fähigkeit gemessen daran, dass das neue Gesellschaftssystem noch in den Kinderschuhen steckt.

In Tschechien haben wenige beherzte Journalisten mit Eigeninitiative gemeinsam mit Bürgern, die sich noch selbst für ihre Angelegenheiten einsetzen, den Angriff der Parteiapparate auf das einflussreichste Medium abgewehrt. Das ist civil society, wie sie sein soll. Die Selbstverteidigung der Bürgergesellschaft funktioniert.

Ähnlich in Polen. Die Abspaltungen von den beiden etablierten bürgerlichen Parteien und die Bildung einer neuen Plattform sind eine Reaktion darauf, dass das Parteienspektrum den erreichten Stand gesellschaftlichen Wandels nicht mehr abbildet. Und dieser Wandel ist während einer Transformation von der Ein-Partei-Diktatur zur pluralen Demokratie und von der Plan- zur Marktwirtschaft viel rasanter als in den etablierten Staaten in Westeuropa. Es gilt nicht nur, neue Herausforderungen wie Globalisierung oder Gentechnologie zu bestehen, sondern parallel dazu das lange Versäumte nachzuholen: Neue Berufszweige entstehen im Privatsektor, die Gesellschaft differenziert sich aus - und mit ihr die sozialen und wirtschaftlichen Interessen einzelner Gruppen; sie wollen auch politisch vertreten sein.

Die neue bürgerlich-wirtschaftsliberal orientierte Formation unter dem shooting star der jüngsten Präsidentenwahl, Aleksander Olechowski, füllt eine Lücke: zwischen der konservativ-klerikalen Regierungspartei AWS und der Freiheitsunion, die sich unter dem neuen Vorsitzenden Bronislaw Geremek sozialliberal ausrichtet.

Die politischen Verhältnisse und Parteienspektren in jungen Demokratien dürfen gar nicht so festgefügt - oder stabil - sein wie im Westen. Was oberflächlich wie Instabilität aussieht, belegt tatsächlich eine unverzichtbare Beweglichkeit. Eine Vitalität, die den älteren Demokratien manchmal gut täte. Denn ihre Stabilität steht in einigen Bereichen für Verkrustung.

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