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Meinung: Wahlen in Serbien: Das Urteil der Geschichte

Serbiens Wende ist zweieinhalb Monate nach dem ersten Akt auf den Strassen Belgrads an der Wahlurne vollendet worden. Das Machtvakuum hat ein Ende.

Serbiens Wende ist zweieinhalb Monate nach dem ersten Akt auf den Strassen Belgrads an der Wahlurne vollendet worden. Das Machtvakuum hat ein Ende. Seit Milosevics Sturz amtierte in Belgrad eine Übergangsregierung. Dort mussten sich die Organisatoren des Volksaufstandes gegen den Autokraten Milosevic mit einer ungemütlichen und gefährlichen Kohabitation abfinden. Vorbei. Der Weg ist nun frei.

Die neue Mehrheit steht dabei vor der Herkulesaufgabe, Serbien wieder nach Europa zurückzuführen. Die Hindernisse auf dem Weg dorthin sind beachtlich. Die alten Regimeparteien sind zwar besiegt, aber nicht verschwunden. Allen voran Milosevic, der von seiner gut bewachten Villa aus Oppositionsführer und Störenfried spielen will.

Doch Milosevic kann sich nicht mehr wohl fühlen. Vom bewachten Milosevic bis zum Milosevic unter Hausarrest ist der Weg nicht weit. Die Öffentlichkeit in Serbien erwartet, dass die Exponenten des alten Regimes Rede und Antwort stehen müssen: Der Mann, der das Land in die Isolation und Misere geführt hat, soll zur Rechenschaft gezogen werden. Zuerst wird wohl gegen den mutmaßlichen Wahlbetrüger Milosevic ermittelt. Dann wird der mutmaßliche Dieb Milosevic an der Reihe sein. Wo sind die Milliarden, die angeblich in den Staatskassen fehlen? Und Eltern wollen das Ex-Staatsoberhaupt belangen, weil er ihre Söhne in Kriege geschickt hat. Die Liste ist lang. Nur ein Punkt figuriert (noch) nicht auf der Anklageliste: nämlich jener, der für die internationale Gemeinschaft und das Haager Tribunal Priorität hat. Serbiens Demokraten sperren sich vorerst gegen eine Zusammenarbeit mit Den Haag. Doch wenn die Ermittlungen erst einmal beginnen, wird eine Lawine Milosevic erfassen.

So ist möglicherweise auch die Kooperation mit dem UN-Tribunal schon bald kein Tabu mehr. Im Wahlkampf wollte sich niemand vorwagen, denn die Propagandageschichten des alten Regimes über das fremde Gericht sitzen tief. Doch Serbiens neue Mehrheit könnte schon bald großes Interesse haben, auch über den Kriegsverbrecher Milosevic richten zu lassen. Das Haager Tribunal könnte, angesichts des Widerstandes in Belgrad gegen eine Auslieferung und falls dies juristisch möglich ist, das Verfahren in Serbien abwickeln. Ein Prozess in Belgrad hätte eine viel stärkere Wirkung als in den fernen Niederlanden. Dieser Prozess müsste allerdings auch dort nach den Haager Regeln und mit Richtern des UN-Tribunals abgewickelt werden. Serbiens demokratische Führung muss sich klar werden, dass ein Neuanfang Vergangenheitsbewältigung braucht.

Transparenz und Aufarbeitung der letzten zehn Jahre ist auch für die heiklen Beziehungen mit den Nachbaren zentral: Kroatien demonstriert den anderen Weg seit dem Ende der Tudjman-Ära. Sowohl in Kroatien als auch in Serbien hat ein Regime im Namen des Volkes Kriegsverbrechen begangen. Den neuen Demokraten in Belgrad muss nun daran liegen, die Verantwortung zu personifizieren und zu individualisieren.

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