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Meinung: Wahrheit trotz Wahlkampf

Die Türkei, wie sie ist, sollte nicht in die EU aufgenommen werden Von Bassam Tibi

Die Problematik EU/Türkei wird schon jetzt im deutschen Wahlkampf, bald aber auch gesamteuropäisch, vor allem in Frankreich, brisant. Allerdings wird die Frage, ob die Türkei zu Europa gehört, nicht offen gestellt. Auch im Wahlkampf wird viel gezetert, aber nicht ernsthaft debattiert. Früher versteckten sich die Europäer hinter Menschenrechtsfragen, heute hinter der Anerkennung Zyperns. Auf den Punkt kommen nur wenige.

Ein führendes deutsches Wochenmagazin und ein Leitartikler einer großen Tageszeitung beanstandeten zu Recht, dass die Führungen von SPD und CDU es sich gleichermaßen verbieten, beim Thema EU/Türkei auf die Kernprobleme einzugehen. Seien wir so frei – und nennen das Kind beim Namen! Zur eigenen Absicherung gegen Verleumdung beginne ich mit einem Bekenntnis: Analog dazu, dass ich als arabischer Muslim das Recht beanspruche, europäischer Bürger zu sein, lasse ich es gelten, dass auch ein islamisches Land zu Europa gehören kann. Ich tue dies jedoch unter einer Bedingung: Ebenso wie der europäische Begriff des Bürgers weit über die formaljuristische Staatsangehörigkeit hinaus bestimmt wird, ist auch die EUMitgliedschaft für ein nichteuropäisches Land nur unter einer Bedingung zu haben. Und die heißt: Europäisierung.

Die Engländer praktizieren dies nach den Terroranschlägen vom 7. und 21. Juli ganz drastisch: Der britische Pass wird für einen Migranten nicht mehr bloß formal ausgestellt und mit der Post übersandt. Sondern der Bewerber muss zur Behörde gehen und dort einen Test ablegen, aus dem seine Akzeptanz europäischer Werte und seine Loyalität zu Großbritannien überzeugend hervorgehen. Etwas Ähnliches sollte auch für die Türkei gelten. In diesem Fall wäre die zuständige „Behörde“ die europäische Öffentlichkeit.

Unter dem Gründer der Türkei, Kemal Atatürk, wurde ein Europäisierungsprojekt gestartet, das formal den Staat (Gesetze und Verfassung, wenngleich sehr unvollständig), nicht aber die türkische Gesellschaft europäisierte. Reicht das aus, um von der EU als Vollmitglied akzeptiert zu werden?

Wer zu Europa gehören will, muss die europäische Wertorientierung voll und ganz akzeptieren. Diese europäische Wertorientierung jedoch wird von den Islamisten der AKP, die die Türkei mit Zwei-Drittel-Mehrheit fast wie ein Einparteiensystem regiert, nicht geteilt. Die AKP hat ihre Wurzeln im Islamismus. Und lassen wir uns nicht täuschen: Die AKP ist nicht islamisch-konservativ (so wie die CDU christlich-konservativ, aber säkular ist), sondern sie ist eine islamistische Partei.

Der Unterschied zwischen Islam und Islamismus besteht darin, dass der Islam ein religiöser Glaube ist, während der Islamismus – die Einheit von Staat und Religion – die Religion politisiert und darüber hinaus nicht an ein Gottesgesetz bindet. Nie hat die AKP den Unterschied zwischen Islamismus und konservativem Islam plausibel erklärt. Stattdessen haben ihre Vertreter lediglich behauptet, die Partei sei nicht mehr islamistisch. Im Deutschen sagt man: Die Botschaft höre ich, allein mir fehlt der Glaube.

Nach der Ideologie des Islamismus ist das Kopftuch nicht nur eine religiöse Kleidung, sondern eine Uniform, durch deren Tragen eine Vorschrift der Scharia erfüllt wird. Deswegen sollte die AKP die „Kopftuch-Partei“ genannt werden. Nichts anderes ist sie.

In der EU/Türkei-Debatte müssen zwei Fragen zugelassen werden: „Welche Türkei?“ und „Welcher Islam?“ Wenn wir dies auslassen, verbieten wir uns, darüber zu sprechen, ob eine säkularisierte und europäisierte Türkei in die EU kommt, oder ob ein von einer islamistischen Partei regiertes Land, das sich – offen gesagt – in einem Entsäkularisierungs- und Enteuropäisierungsprozess befindet, nach Europa drängt. Es ist nicht nur unsachlich, sondern auch billig, wenn Gerhard Schröder und Joschka Fischer jetzt die Keule der Fremdenfeindlichkeit gegen Kritiker der Türkei schwingen. Denn es ist keine Islam-Feindschaft im Spiel, wenn sich Zweifler zu Wort melden und es wagen, solche Fragen zu stellen.

Bis auf einige Ausnahmen leben die türkischen Zuwanderer in Europa mehrheitlich in Parallelgesellschaften. In der türkischen, in Istanbul erscheinenden Zeitschrift „Turkish Policy Quarterly“ durfte ich 2004 das Kriterium der Europäisierung nicht nur für die Türkei, sondern auch für die türkischen Migranten als Voraussetzung angeben und offen die Bedenken vieler Europäer formulieren: Die Tatsache, dass die Masse der türkischen Migranten nicht europäisiert ist, erschwert es ungemein, sich für ein ganzes Land als Teil der EU einzusetzen.

Die Türkei ist außerordentlich wichtig für Europa. Aber in seinem jetzigen Zustand vor allem unter der AKP-Herrschaft ist das Land nicht geeignet für eine Vollmitgliedschaft in der EU. Wie die Ergebnisse einer Umfrage im Auftrag der EU vom Juli 2005 ergaben, denken das auch 70 Prozent der Europäer. Warum wird im deutschen Wahlkampf nicht offen darüber gesprochen?

Bassam Tibi lehrt an der Universität Göttingen Internationale Beziehungen. Gleichzeitig ist er Professor-at-Large an der amerikanischen Cornell University. Sein neuestes Buch „Mit dem Kopftuch nach Europa? Die Türkei auf dem Weg in die EU“ erscheint in diesen Tagen im Primus-Verlag.

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